Liebe in Zartbitter
dürfen wir leider nicht. Fürs Mittagessen sind Plätze im Restaurant „Königshof“ bestellt, dann besuchen wir eine Schokoladenfabrik. Die zweite Hälfte des Nachmittags hat die Gruppe zur freien Verfügung. Sie können shoppen gehen: Brüsseler Spitze, Gobelins, Schokolade oder die Klamotten der üblichen Weltstadt-Boutiquen“, rekapituliere ich etwas ironisch das kompakte Tagesprogramm.
Mein Gegenüber nickt.
„Das wird sie hoffentlich so in Anspruch nehmen, dass sie heute Abend zeitig das Feld räumen. Ich müsste mal wieder ausschlafen.“
Ungläubig starre ich ihn an. Ist das Gedankenübertragung oder will er sich nur bei mir einschleimen?
„Wir müssen“, seufze ich und stehe auf.
Er trinkt seinen Espresso aus und folgt mir nach draußen.
Vor dem Hotel hält ein Notarztwagen. Zwei Personen springen heraus und werden von einem aufgeregten Portier in Empfang genommen. „Gustav-Klimt-Suite, Mademoiselle...“
Den Namen verstehe ich nicht, weil Fritze mit dem Reisebus vorfährt. Die Stadtführerin sitzt bereits neben ihm. Es kann losgehen.
XII.
André de Marville sieht sich nervös in dem kleinen Büro um.
„Ist sie immer noch nicht erschienen? Und auch keine Nachricht eingetroffen?“
Sein Assistent, der am Schreibtisch hockt und telefoniert, unterbricht das Gespräch für drei Sekunden und schüttelt bedauernd den Kopf.
Der hochgewachsene französische EU-Abgeordnete - einer der gewählten vierzehn Vizepräsidenten des Parlaments -, steht einen Moment unentschlossen da. Nichts als Ärger gibt es mit der kurzfristig anberaumten Anhörung vor der Expertengruppe für Finanzen. Zuerst hat de Marville als Leiter des Ausschusses für Wirtschaft und Währung regelrecht darum kämpfen müssen, außer der Reihe einen der kleinen, seit Wochen ausgebuchten Tagungsräume zu bekommen, bisher fehlt noch immer der vollständige Rücklauf, welche Ausschussmitglieder morgen tatsächlich erscheinen werden, und nun erweist sich auch noch die angekündigte Referentin aus Berlin als unzuverlässig. Mit Mühe unterdrückt der Politiker das Verlangen, sich die Haare zu raufen.
Vor zwei Stunden ist er mit der Dame verabredet gewesen. Inzwischen hat er zwei wichtige Absprachen getätigt und müsste längst in der Kantine im Nebengebäude sein, wo er den Abgesandten des französischen Finanzministers abfangen will.
„Sagen Sie der Mademoiselle, wenn sie sich meldet, sie möchte sich ein wenig gedulden, ich bin in einer halben Stunde zurück.“
Der Mitarbeiter nickt. Er weiß, sein Chef, der nichts mehr hasst als Unpünktlichkeit, wird in genau neunundzwanzig Minuten über diese Schwelle treten. Er könnte die Uhr danach stellen.
XIII.
„Wo bleiben die Answalts? Wir müssen los!“
Ungeduldig starrt Hendrik Würtz die Straße hinunter. Dort tummeln sich Dutzende Personen, flanierend, plaudernd, fotografierend. Doch von dem Ehepaar aus Rostock ist weit und breit nichts zu sehen. Nach ein paar weiteren vertrödelten Minuten reißt ihm die Geduld.
„Steigen Sie ein, wir fahren ab!“, ordnet er in Richtung Reisegruppe an, die vollzählig – bis auf das eine Ehepaar – vor dem Bus versammelt ist und langsam zu murren beginnt.
„Sie auch, Lena!“
Als alle ihre Plätze eingenommen haben, schiebt er mich hastig die Busstufen hinauf. Ich zögere.
„Wir können sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen“, wende ich ein. „Vielleicht haben sie sich verirrt und suchen nun verzweifelt den Treffpunkt. Wäre bei diesem Trubel hier kein Wunder.“
„Wir können nicht länger warten, sonst kommen wir zu spät zum Essen und gefährden den Anschlusstermin in der Schokoladenfabrik. Wollen Sie das?“
Natürlich nicht, denn auf diesen Ausflug habe ich mich besonders gefreut. Trotzdem behagt es mir nicht, zwei Passagiere so ohne weiteres sich selbst zu überlassen. Ohne Sprachkenntnisse im fremden Land. Das sage ich ihm auch.
„Sie haben Ihre Handy-Nummer, Lena, und die Adresse vom Hotel“, wirft Hendrik auf mein Argument ein.
Mich überzeugt das nicht. In Deutschland wäre es sicher kein Problem, zum Durchsetzen der Disziplin ohne ein unpünktliches Paar abzufahren. Aber hier?
„Jemand sollte trotzdem am vereinbarten Treffpunkt auf sie warten“, beharre ich auf meiner Meinung.
Die wachsende Unruhe im Bus bestätigt, dass ich damit allein dastehe. Trotz erwacht in mir. Soll er seinen Willen haben, aber anders als er denkt!
„Okay, fahren Sie mit den Leuten zum Essen und dann zur
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