Liebe in Zartbitter
augenblicklich. Es stimmt ja auch.
„Sie sind ein tapferes Mädchen, aber ich bin Ihnen gewesen keine große Hilfe bei der Befreiungsaktion.“
Ich rücke noch ein wenig näher an ihn heran, lehne meinen Kopf an seine Schulter und protestiere.
„Sie haben getan, was Ihnen möglich war. Und Sie haben mich von den Fesseln erlöst. Allein hätte ich das nicht geschafft. Ebenso wenig wie das Sprengen der Verriegelung unseres Gefängnisses.“
Er streicht mir mit seiner Hand sanft übers Haar.
„Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber Sie sind einfach bezaubernd. Hübsch und klug, mutig und bescheiden...“
„Hören Sie auf, sonst werde ich noch rot vor Verlegenheit“, unterbreche ich seine Lobeshymne, obwohl sie mir ausnehmend gut gefällt. Wieder spüre ich den ausgeprägten Geschmack von Bitterschokolade auf meiner Zunge. Ich fühle mich plötzlich leicht und frei.
Lass ihn weiterreden, denke ich, vielleicht wird es ja eine Liebeserklärung. - Nimm dich zusammen, er ist sicher nur verwirrt, schließlich hat er einen Schlag auf den Kopf bekommen, bringt mich mein Verstand auf den Boden der Tatsachen zurück.
Was weiß ich denn von ihm? In seinem Alter hat ein seriöser Berufspolitiker garantiert Frau und Kinder zuhause.
Bevor er darauf antworten kann, ist von Ferne Motorengeräusch zu vernehmen. Kurz darauf nähern sich zwei Motorräder.
Jugendliche, die auf dem Autofriedhof nach brauchbaren Ersatzteilen suchen wollen.
André de Marville strafft seine Gestalt und springt auf.
„Warten Sie hier. Jetzt sich findet eine Möglichkeit zu gelangen zurück in die Brüsseler Innenstadt.“
Er folgt den Jugendlichen. Auf halber Strecke ruft er ihnen etwas zu. Sie bleiben stehen, machen dann tatsächlich kehrt und gehen auf ihn zu. Was gesprochen wird, kann ich nicht hören – könnte es sowieso nicht verstehen. Nach einigem Hin und Her zückt de Marville seine Brieftasche. Sie scheinen sie sich geeinigt zu haben, denn er winkt mich heran.
„Kommen Sie schnell, ehe die sich das noch überlegen anders!“, fordert er mich auf.
Eine Minute später sitze ich als Beifahrerin auf einem der Feuerstühle, festgeklammert an Monsieur de Marville. Obwohl mir bei seinem Vorhaben, selbst zu fahren, etwas mulmig zumute ist – schließlich ist er vor kurzer Zeit kaum in der Lage gewesen, aufzustehen – bin ich aufgestiegen.
Ich unterdrücke ein Kichern. Was sind wir für ein seltsam aussehendes Gespann. Er Hemdsärmelig, ich in dem mir viel zu weiten Jackett des Vize-Präsidenten. Er hat darauf bestanden, dass ich es überzuziehe, weil es während der Fahrt zugig werden wird.
An ihn geklammert, nehme ich den zarten Duft seines Eau de Toilette wahr, den meine Nase schon im Parlament und im Kofferraum des Busses als angenehm empfunden hat, und ich spüre durch den Stoff die Wärme seines Körpers.
An uns fliegen Äcker und Wälder vorbei. Die ersten Häuser tauchen in der Ferne auf.
Ich klammere mich fester an den Fahrer, der weiter an Tempo zulegt.
Mein Gott, er könnte gut und gerne die Geschwindigkeit etwas drosseln. Auf ein paar Minuten mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an.
Er will mich am Hotel absetzen, damit ich mich umziehen und ihn ohne Verzögerung mit meinen Unterlagen ins Parlament begleiten kann. - Welche Unterlagen?
Während wir bereits die Innenstadt erreichen, habe ich reichlich Stoff zum Nachdenken.
Wenn André am späten Abend tatsächlich vor dem „Hotel Le Dome“ gewesen ist, heißt das, dass diese Mademoiselle Boyer ebenfalls dort logiert.
Mir fallen die Kennkarte mit dem schlechten Foto und der Page mit der Rose ein, der meinen Namen französisch ausgesprochen hat – oder hat er in Wahrheit die andere gemeint?
Ich beginne, ein paar Zusammenhänge zu begreifen: Wenn es die Gangster weder auf Fritzes Bus noch auf mich, sondern auf die Referentin abgesehen und durch einen dummen Zufall die falsche erwischt hätten?
Wir biegen in die Straße zu meinem Hotel ein.
Schade. Von mir aus hätte die Fahrt ewig dauern können. Es ist so angenehm, sich nach all den Schrecken der vergangenen Nacht, an einem starken, gut aussehenden Mann festzuhalten. Selbst das Hungergefühl habe ich dabei vergessen. Ich weiß nur eines: Ich will mich noch nicht von Monsieur de Marville – von André – trennen.
Ich beschließe, mein Geheimnis noch ein wenig länger für mich zu behalten, mit dem Vize-Präsidenten ins Parlament zu fahren und zu sehen, ob die echte Referentin unbehelligt
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