Liebe in Zartbitter
erweichen, klebt dem Herren eine Plakette mit seinem Namen auf den Anzug, dann winkt er die beiden durch. Erleichtert heftet sich der Assistent an ihre Fersen, schiebt sie zum nächstgelegenen Fahrstuhl.
Christian Tulip glaubt, seinen Augen nicht zu trauen, als er aus sicherer Entfernung die junge Dame erblickt, die sich mit leichtem Hinken am Arm eines Begleiters in Richtung der Tagungsräume entfernt. Es ist tatsächlich Mademoiselle Boyer, daran hegt er keinen Zweifel. Wie sie sich jedoch so schnell hat befreien können, bleibt ihm ein Rätsel.
Hier im Haus kann er keinen Versuch unternehmen, die Referentin aus Deutschland erneut verschwinden zu lassen. Wahrscheinlich ist bereits die politische Polizei eingeschaltet, um deren Entführung zu untersuchen.
Er und Jean-Paul müssen sich jetzt still und unauffällig verhalten, damit niemand Verdacht gegen sie schöpft.
Er hofft, dass die Referentin seinen Partner wenigstens nicht erkennt, sollte sie ihm zufällig auf den Gängen begegnen.
Sie haben den Auftrag nicht ausführen können, und es wird Ärger deswegen geben, damit muss er sich wohl abfinden.
Wenn wir nicht auffliegen und glimpflich aus der Sache herauskommen, werde ich künftig die Finger von jeder Art Extra-Tour lassen, und nur noch brav meine Arbeit erledigen, schwört er sich insgeheim.
Vor dem Großraumbüro, in dem er seinen Schreibtisch hat, fängt ihn Jean-Paul ab und lotst ihn in die kleine Cafeteria in der obersten Etage hinauf. Dort herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, sodass sie nicht weiter auffallen.
Als sie bei einem Café au lait ihre niederschmetternden Neuigkeiten ausgetauscht haben, verharren beide in betroffenem Schweigen. Keiner will so recht glauben, was der andere berichtet hat.
„Ich habe keine Nachricht von meinem Verbindungsmann aus dem Kanzleramt erhalten, dass die Sache abgeblasen ist“, erklärt Christian verbittert. „Der kann mich doch nicht so einfach ins Messer laufen lassen.“
„Und ich glaube nicht daran, dass die Referentin so mir nichts dir nichts hier hereinspaziert sein soll“, knurrt Jean-Paul. „Selbst wenn sie sich aus dem Bus befreien konnte, was möglich wäre, haben wir den in einer verlassenen Gegend abgestellt, wo ihn so schnell keiner findet, und von wo sie nicht so ohne weiteres wegkommt.“
„Bis zum Mittag ist de Marville jedenfalls nicht im Parlament aufgetaucht, sein Assistent hat’s mir erzählt“, bestätigt Tulip.
„Ich schaue heute Abend nach, ob der Bus noch am Autofriedhof steht und rufe dich dann sofort an“, verspricht Jean-Paul.
Als sich Christian zurück an seinen Arbeitsplatz begibt, haben sie sich darauf geeinigt, sich in den kommenden Tagen nirgends gemeinsam sehen zu lassen. Und Jean-Paul wird sich in Acht nehmen, ins Gesichtsfeld des Vize-Präsidenten zu geraten, der ihn möglicherweise als den Mann mit den Akten identifizieren könnte.
Sicher ist sicher.
XXXII.
„Und, geht’s Ihnen etwas besser?“
Erleichtert bemerke ich, wie Monsieur de Marvilles bleiches Gesicht etwas Farbe bekommt. Die Wasserflasche setzt er erst ab, als sie völlig geleert ist, dann lässt er sie ins Gras fallen, das mit kleinen Fläschchen übersät ist.
„Noch einen Klaren?“, frage ich.
„Non!“, winkt er entsetzt ab. „Auf keinen Fall!“
Ich muss grinsen. Er soll sich bloß nicht so haben. Fritzes Notapotheke hilft, innerlich oder äußerlich angewendet, auch bei scheinbar aussichtslosen Fällen. Wie sich gerade gezeigt hat.
Vier Rationen besten Nordhäuser Doppelkorn habe ich geopfert, um die Kopfwunde zu desinfizieren. Eine habe ich ihm eingeflößt, ganz behutsam, denn er sollte ja zu sich kommen und nicht daran ersticken.
Vom Erfolg meines Tuns begeistert, genehmige ich mir einen „Kleinen Feigling“. Auf leerem Magen brennt er ganz schön, beruhigt aber meine strapazierten Nerven ungemein.
Es war vielleicht eine Plackerei, die Autoreifen heranzuschleppen, um damit an die Fenster zu gelangen. Schuldbewusst schiele ich auf eine zerbrochene Scheibe, deren Scherben am Boden verstreut herumliegen.
Es tut mir ja leid, Fritzes Bus verwüstet zu haben, aber ich wusste mir keinen anderen Rat, um an das Wasser zu kommen. Dabei habe ich, statt etwas zu Essen, seinen Schnapsvorrat für lustige Seniorenfahrten entdeckt.
De Marville versucht, sich aufzurichten, ich springe in die Höhe, um ihn notfalls zu stützen, aber er schafft es allein.
„Gehört bei Ihnen Überlebenstraining zur Ausbildung für den
Weitere Kostenlose Bücher