Liebe ist kein Beinbruch
älteren Mann mit selbst hergestellten Tinkturen, an den sie sich wenden.“
„Männlicher Stolz“, entgegnete Amy trocken. „Südstaatenmänner würden sich ohne mit der Wimper zu zucken für eine Frau aufopfern. Doch Ritterlichkeit funktioniert in beide Richtungen. Egal wie modern sie angeblich sind, im Herzen bleiben sie Chauvis. Sie wollen nicht, dass eine Frau sie leiden sieht.“
„Noch ein Grund für mich, nicht hierzubleiben“, sagte Nikki. „Meine ehemalige Chefin sucht nach jemandem, der meinen Platz hier einnehmen kann. Aber vielleicht kehre ich nicht nach Broadway zurück.“
„Wohin willst du dann?“
„Ich dachte an Atlanta, obwohl ich noch nie dort war. Was meinst du?“
„Es ist eine große heiße Stadt. Der Arbeitsmarkt ist besser als dort, wo du jetzt steckst. Und ich glaube, dass auch das kulturelle Angebot ein bisschen abwechslungsreicher sein dürfte.“
Nikki lachte. „Das könnte ich ja in Erfahrung bringen, wenn ich schon in der Nähe bin.“
„Ich habe gehofft, dass du zurückkommen würdest.“
„Tut mir leid. Was gibt es bei dir Neues?“
Amy seufzte. „Ich warte noch immer darauf, zu hören, ob ich für die Reparatur am Stausee eingesetzt werde. Drück mir die Daumen.“
„Das werde ich“, sagte Nikki. Dann verabschiedete sie sich von ihrer Freundin. Als sie auflegte, verspürte sie Bedauern. Wenn sie nicht nach Broadway zurückging, würde sie Amy vermissen. Doch nachdem sie Darrens Nachricht abgehört hatte, war sie sich sicher, nicht zurückkehren zu können. Sie war nicht über ihn hinweg, wenn er noch immer die Macht hatte, ihr wehzutun.
Sie rief Dr. Hannah an. Nachdem sie einen Moment in der Leitung gewartet hatte, hörte sie die freundliche Stimme ihrer ehemaligen Chefin. „Nikki, wie geht es Ihnen?“
„Mir geht es gut“, schwindelte sie und fühlte sich tatsächlich etwas besser, nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte.
„Freut mich, von Ihnen zu hören. Ich wollte Sie selbst schon anrufen. Vielleicht habe ich einen Arzt gefunden, der nach Sweetness ziehen und in der Ambulanz arbeiten möchte.“
Warum hielt sich ihre Freude über diese Nachricht in Grenzen? „Das ist toll“, sagte Nikki. „Wer ist es?“
„Dr. Jay Cross. Er hat gerade seine Assistenzzeit beendet und möchte unbedingt in einer Landarztpraxis arbeiten, wo er noch etwas bewegen kann. Aber er möchte sich zuerst die Stadt ansehen, ob sie ihm gefällt.“
Nikki schrieb seine Kontaktdaten auf und versprach, sie an die Armstrongs weiterzuleiten. „Und die Stadt ist bald ans Netz angeschlossen, sodass wir ins Internet können. Dann ist die Kommunikation auch einfacher.“
Dr. Hannah erzählte, sie sei noch immer dabei, sich wegen Personal für die anderen freien Stellen umzuhören. Sie würden deshalb in Kontakt bleiben. Am Ende fragte sie Nikki, ob sie wieder in die Praxis einsteigen würde.
„Das habe ich noch nicht endgültig entschieden“, gabNikki zu. „Ich weiß das Angebot allerdings sehr zu schätzen. Ich werde mich baldmöglichst bei Ihnen melden.“
Nikki beendete das Gespräch und nahm sich ein paar Minuten, um die friedvolle Berglandschaft zu betrachten. Es war ein besinnlicher Ort. Die majestätischen Gipfel, die terrassenartig angelegten Ebenen mit Bäumen, die hügeligen Ausläufer der Berge – das alles war sicher, fest, unerschütterlich. Die Natur scherte sich nicht um die Probleme der Menschen – sie ließ sich nicht stören. Eine Lektion für diejenigen, die mit und in der Natur lebten, wie sie annahm. Nach ein paar weiteren Minuten warf sie einen Blick auf die Uhr und beschloss, zurückzufahren. Zumindest im Moment hatte sie Patienten, um die sie sich kümmern musste. Auch wenn die meisten vier Beine hatten.
Vorsichtig stieg sie die Leiter herab und sprang auf den Sitz des Quads. Von dort kletterte sie auf den Boden. Es war ein kleiner Triumph für sie, das Geländefahrzeug hierher gelenkt zu haben und auf den Wasserturm gestiegen zu sein. Vor ein paar Wochen noch hätte sie sich nicht träumen lassen, so etwas einmal allein zu machen. Sie verstand nun, wie die ländliche Umgebung erfinderische Individuen hervorbrachte und sie den Armstrongs den Willen eingeflößt hatte, der Natur zu trotzen und aus dem Nichts eine Stadt aufzubauen.
Doch sie konnte die Ziele der Brüder bewundern, ohne sich davon anstecken zu lassen.
Nikki zog den Helm auf und stellte den Motor an. Als sie Gas gab, drehten die Räder des Quads durch und spritzten Dreck und
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