Liebe stand nicht auf dem Plan
das Handy weg. Die Nachrichten von Keath wabern durch ihr Hirn, seine Worte verselbstständigen sich und setzen sich neu zusammen, mal tröstend, mal unsinnig. Aber sobald sie die Augen zumacht, wird alles von Leifs kalter Stimme übertönt. Da hilft es nicht, dass sie sich die Decke über die Ohren zieht. Nicht die Pitbull-Glatzen oder sonst irgendein Stress sind schuld, dass er den Club verkaufen wird, sondern sie. Sie raubt ihm den letzten Nerv, weil sie anmaßend und dumm
ist. Weil sie sich total überschätzt und sich viel zu wichtig nimmt. 03:28. Die Ziffern des Weckers leuchten alarmierend rot. Leif verachtet sie. Zu Recht! Er hat keinen Bock auf jemand wie sie. Jemand der rumtönt, raus, du hast in deinem eigenen Club nichts zu suchen. Nora vergeht vor Scham und überlegt panisch, wie sie das Keath und Mehmet erklären soll. Die haben doch keine Ahnung und gehen davon aus, dass alles weitergeht wie bisher! Mehmet träumt garantiert gerade von seinem nächsten Auftritt, und seine Fans zählen die Tage bis nächsten Dienstag. Nora wirft die Decke ab und macht das Fenster auf. Luft! Dann füllt sie in der Küche so leise wie möglich ihr Wasserglas. Bloß nicht Yolanda wecken. Wenn die fragt, was los ist, klappt sie zusammen. Und wenn sie noch mal flennt, kriegt sie morgen die Augen gar nicht mehr auf. Sie trinkt, beißt die Zähne zusammen und legt sich wieder ins Bett. Kein Schrubberdance mehr, nie wieder Herumblödeln mit den Bands beim Soundcheck … Mehmet wird sie hassen. Und Keath? Nora kann nicht liegen bleiben. Diesen Druck hält sie nicht aus. Im Arbeitszimmer hangelt sie sich von einem Standby-Lämpchen zum nächsten und leert ihre externen Brenner. U A -DJÇay-Vol.3. Das ist die Letzte. Finito, Ende. Sie starrt aus dem Fenster auf die finstere Nachbarwand. Wieder hört sie Leifs Stimme dröhnen. »Seit fünfzehn Jahren zieh ich den Laden durch, kriege Angebote für ihn ohne Ende und frage mich täglich, wieso ich weitermache. Fünfzehn lange, erfolgreiche Jahre, und dann soll ich mir von einer Fünfzehnjährigen sagen lassen, dass ich …«
»Das kann man auch ganz anders verstehen«, flüstert Keath und hält Nora fest im Arm.
»Wie denn?« Ihr Gesicht ist blass, und die Augen liegen in dunklen Höhlen.
Keath kann sie nicht ansehen, ohne vor Wut auf Leif zu platzen. »Wenn er seit Jahren Angebote kriegt, wie er sagt, und bis jetzt nicht verkauft hat, wieso sollte er es ausgerechnet jetzt tun, wo der Laden läuft wie geschmiert? Wegen nem Spruch von dir?«
Sie haben sich hinten im Getränkeschuppen neben dem Katzenlager auf Kisten gequetscht. »Mal abgesehen davon«, fährt Keath leise fort, »dass der Spruch nicht anmaßend war, wie du sagst, sondern seine Berechtigung hatte. Mehmet und Maika sehen das garantiert auch …«
»Du darfst ihnen nichts sagen«, fällt ihm Nora ins Wort. »Das muss ich selber machen. Und was ist mit den Pitbull-Typen und damit, dass er sich aus dem Geschäft rauszieht? Glaub mir, ich hab ihm den Rest gegeben. Ich war so kurz vorm Rausschmiss. Du hättest ihn hören sollen.«
Das tut Keath. Seit zwanzig Minuten flüstert ihm Nora ihre Erlebnisse von gestern ins Ohr. Er hat genau vor Augen, was da abgelaufen ist, als wäre er dabei gewesen. »Leif hat vor dir den Macker raushängen lassen, der Arsch. Das ist alles. Glaub’s mir.«
»Ja. Nein. Aber er hat recht.« Noras Knöchel sind weiß, sie klammert sich an seiner Hand fest. Ihre Worte überschlagen sich fast. »Er hat von Anfang an keinen Bock auf den Underage-Club gehabt. Nur den Probelauf hat er genehmigt, aber ich hab einfach weitergemacht und ihn aus seinem Club geschmissen, als hätten wir ne Absprache. Verstehst du? »
Mit Keaths Lippen auf ihren breitet sich Stille aus. Dafür überschlägt sich Noras Herz. Sie wird weggespült von Verlangen, ist in einem Zustand, den sie nicht kennt. Sie löst sich auf, will nicht aufhören zu spüren, wie alles in ihr warm und weit wird. Grenzenlos, fassungslos, bedeutungslos lösen sich ihre Gedanken auf und verwandeln sich in Gefühle, die zu ihm drängen. Sie löst ihre Lippen von Keaths und stöhnt leise auf.
Vor Schreck kullert das schwarze Kätzchen von Keaths Turnschuh. Es hat lange gebraucht, ihn zu erklimmen.
»Du haust das Kätzchen von meinen Latschen«, murmelt Keath, »und mich komplett aus den Latschen. Mann, oh, Mann, Nora. Wo soll uns das hinführen?«
Auf keinen Fall auseinander, mehr weiß sie auch nicht. Sie legt ihren Kopf an seine Brust und
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