Liebe stand nicht auf dem Plan
Nora schluckt, abhauen kann sie jetzt nicht mehr, also winkt sie kurz nach oben und geht entschlossen auf den Eingang zu. Die Tür ist unverschlossen, schwergängig, sie kriegt sie kaum aufgestemmt. Im Treppenhaus begegnet ihr niemand, kein Laut dringt durch die Türen, und Beklemmungen schnüren ihr mit jedem Stockwerk mehr den Hals zu. Oben angelangt, atmet sie tief durch und zögert kurz vor der angelehnten Tür, auf der mit roter Ölfarbe groß BORG geschrieben steht. Nicht kunstvoll, auch nicht geschmiert, aber irgendwie brutal.
»Hallo! Komm rein und mach die Tür hinter dir zu!«
Sie kommt sich vor, als würde sie den Danziger Bahnhof durchqueren.
Leif ist es so gewohnt, entzückte Kommentare zu hören, ah, oh, wie toll, geniale Wohnung, dass er sich umdreht, als sie ausbleiben, und Nora prüfend anstarrt. »Hast du’s gut gefunden?«
»Hallo, Leif, ja – und pünktlich.« Nora weiß, sie sollte etwas sagen. Schöne Wohnung, gute Lage oder so. Aber sie bringt nichts über die Lippen.
»Nimm Platz. Was zu trinken?«
»Ja, Wasser. Danke.« Sie setzt sich mit dem Rücken zu seinem riesigen Bett. Zentralperspektivisch steht es mitten in dem spärlich möblierten riesigen Raum und wirkt wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ob Maika tatsächlich in den grauen Satinbezügen mit ihm kuschelt? Als sie sich das vorstellt, wird Nora klar, dass die gesamte Situation sie total überfordert. Die leise Musik, sein riesiges Portrait auf der Stellwand mitten im Raum … Der Chef kommt ihr in seiner privaten Welt fremd vor. Niemand weiß, dass
sie hier ist. Sie sitzt stocksteif auf dem Stuhl und überlegt fieberhaft, wie sie mit ihm schnell und sachlich die offenen Fragen klären kann. Aber ihr fällt absolut nichts ein. Nur mit Anstrengung kriegt sie ihre Hände auseinander und legt einen Arm auf der Seitenlehne ab.
Noras Verunsicherung entgeht Leif nicht, genau deshalb hat er sie herbestellt. Er kennt die Reaktion der Mädchen auf sein Loft. Fast alle – alle bis auf Maika – verhalten sich so. Im Club riskieren sie eine dicke Lippe, und wenn sie hier sind, kriegen sie die Zähne nicht auseinander. Er mag das, ihm ist das lieber so, und er mustert Nora ausgiebig. Bisher hat er immer»die Kleine« gedacht, aber es ist nur ihre Zartheit, die sie klein wirken lässt. Im Gesicht hat sie was Entschlossenes. Und verdammt hübsch ist sie, wenn sie auf verstockte Göre macht. »Wie wichtig ist dir der Underage-Club?«
Im ersten Moment ist Nora erleichtert, dass er anfängt zu verhandeln. Aber ihr fällt nicht ein, was sie dazu sagen soll. Sehr? Gar nicht? Es geht um den Preis für die Miete, deshalb fragt sie zurück: »Bist du denn mit 250 einverstanden?«
»Das ist nicht die Antwort auf meine Frage«, sagt Leif.
Nora durchzuckt ein verwirrender Gedanke: Das ist mehr als ein Machtspiel! Das geht in die falsche Richtung! Er will nicht den Mietpreis verhandeln, er will wissen, was es MIR bedeutet. Er denkt: ICH bin der Preis! Scheißescheiße, Mistmistmist. Angst steigt in ihr hoch. Sie starrt an ihm vorbei und bemüht sich um Fassung. So selbstbewusst, wie ihr möglich ist, sagt sie: »Das ist doch egal. Es ist dein Club. Wenn du nicht willst, dass ich einen Underage-Club veranstalte, dann nicht.« Sie steht auf und sieht ihn zum ersten Mal richtig an. »Du stellst die Bedingungen.«
»Setzt dich, ich bin noch nicht fertig.« Leif zieht sie am Arm
auf den Stuhl zurück. »Das ist exakt der Punkt, den ich mit dir klären will.«
Nora plumpst unsanft auf den Hintern, landet etwas schräg und kriegt die rechte Armlehne in die Rippen. Genau da hin, wo ihre Prellung noch nicht ausgeheilt ist. Ein bekannter Schmerz jagt ihr jäh durch die Nervenbahnen.
In Leifs Glas kreisen die Eiswürfel, er nimmt einen Schluck. Seine Stimme ist emotionslos. »Was in meinem Club passiert und was nicht, bestimme ich. Nicht die Pitbull-Typen, nicht die Polizei und selbstverständlich auch nicht du. Niemand schreibt mir vor, wie ich meinen Laden zu führen habe, und schon gleich gar nicht, wann es mir erlaubt ist, ihn zu betreten. Sollte dir das nicht passen, musst du dir einen anderen Job suchen. Und zwar besser heute als morgen. Möglich, dass ich die Stimme eines Priesters vom Kirchen-Beat-Keller habe, aber ich bin keiner.« Er leert sein Glas und füllt es wieder auf.
Nora bleibt die Luft weg, und sie sackt nach vorne, als ob sie eine Axt in den Rücken bekommen hätte. Sie versucht sich aufzurichten, aber es gelingt ihr nur
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