Liebe stand nicht auf dem Plan
millimeterweise.
Möwen fliegen vorm Fenster vorbei, und Leif sieht ihnen nach. »Ich lasse euch jede Menge Freiheiten. Ihr könnt euch die Arbeit einteilen, wie und wann ihr wollt. Solang ihr sie erledigt, quatsche ich euch nicht rein. Und ich lass mir erst recht nicht reinquatschen. Das muss dir klar sein.«
Kälte kriecht Nora den Rücken hoch. In der Ferne hört sie die Eiswürfel in Leifs Glas klirren.
Er ist in Fahrt gekommen und streckt die Beine aus. »Im Clubgeschäft gibt’s keine Jobs auf Lebenszeit. Seit fünfzehn Jahren zieh ich den Laden durch, kriege Angebote für ihn ohne Ende und frage mich täglich, wieso ich weitermache. Fünfzehn lange, erfolgreiche Jahre, und da soll ich mir von einer Fünfzehnjährigen
sagen lassen, dass ich …« Irgendwas stimmt nicht mit der Kleinen, dringt Leif ins Bewusstsein.
»Meine Rippen …«, flüstert Nora. »Ich krieg keine Luft.«
Keath bleibt allein am Einlass zurück, als Dali abhaut und wie ein Durchgeknallter nach Hause radelt, um seine Mails zu checken. Zum Glück! Eine Stunde lang hat sich Keath ununterbrochen Dalis Gefasel von Kartoffeln und Janina Joh anhören müssen. Obsessiv ist das und nervt, genau wie Dalis zweites Thema: sein Masterpiece. Wie kriegt er Noras Persönlichkeit als Graffito zu fassen? Gar nicht, denkt Keath, und halte mir nicht dauernd deine Bilder von Nora im Gras unter die Nase. Im Club zappelt Mehmet aufgedreht wie ein Derwisch am Mischpult rum, und auf der Bühne tobt Rotte og Svans, die explosivste Garagenpunk-Band Kopenhagens. Ein Tross von Fans hat sie begleitet. Wäre schön, wenn jetzt die Schlabberhosen mit ihren Schlabberhunden auftauchen würden. Käme es zu einem Zusammenstoß mit den Punk-Fans, würde die heißeste Keilerei aller Zeiten losbrechen. Aber immer wenn man auf Krawall gebürstet ist, passiert nichts. Keath ist erledigt von seinem langen Training, aber von innerer Gelassenheit keine Spur. Als er gekommen ist, war Nora schon weg. Ihre Abwesenheit spürt er schmerzlich, und die anderen gehen ihm auf die Nerven. Keine SMS hat sie ihm geschickt, nichts. Wo steckt sie bloß? Ist sie nicht da, weil er ihr zu nahe gekommen ist? Keath ist vollkommen durcheinander. Der Regen hat sie gestern auseinandergespült, aber weder er noch Nora waren dadurch abgekühlt. Gedankenversunken wandern Keaths Blicke zu den Mülltonnen hinüber. Es kommen kaum noch Leute, das Konzert ist ausverkauft, und nichts lenkt ihn von seinen konfusen Gedanken und seinem Verlangen ab.
»Was willst du trinken?«, brüllt Maika.
Vor Schreck lässt Keath sein Handy fallen und kippt fast vom Hocker. Er hat nicht einmal mitgekriegt, dass sie die Tür aufgerissen hat.
»Quitte ist aus.« Sie schreit immer noch. Drinnen muss es richtig laut sein.
»Hol Lars, er soll mich ablösen. Ich will tanzen«, sagt Keath entschlossen.
Das heißt, sie muss Lars an der Bar vertreten. Maika hat keinen Bock auf den Bar-Dienst, andererseits zeigen die dänischen Punks bei jedem Tropfen Bier tiefe Dankbarkeit. »Okay, aber bloß kurz.«
So sieht Lars es auch. »In fünfzehn Minuten bin ich hier wieder weg.« Er hasst es, vorm Club herumzustehen, und fröstelt sofort. Seine Abneigung gegen Sauerstoff wird nur von seiner Angst vor Dunkelheit und der lähmenden Furcht vor Mücken übertroffen. An Glatzen mit Hunden kann er nicht denken, ohne zu schlottern. Und sollte eine dieser Monsterratten auftauchen, von denen Maika erzählt hat, ist er auf der Stelle wieder drin, und die Tür wird er dann auch abschließen. Lars fehlt jetzt schon sein Schutzschild, die Theke, hinter der er sich beim leisesten Verdacht auf Ärger auf den Boden schmeißt.
»Nie wieder!«, murmelt Nora und geht langsam an dem Schild Kehrwieder vorbei. Leifs Blick in ihrem Rücken versteift ihre Schulterblätter. Nichts wie weg. Sie hat die Situation völlig falsch eingeschätzt, und das Schlimmste wäre, wenn alles noch einmal von vorne losgehen würde. In ihrem ganzen Leben wird sie nie wieder vor dem Chef ne dicke Lippe riskieren. Schön im Hintergrund wird sie sich halten. Der Typ ist unberechenbar. Wenn sie die Lehne nicht direkt in ihre gequetschte Rippe gekriegt und Atemnot bekommen hätte, wäre sie ihren Job los, vom Underage-Club mal ganz abgesehen. Halbwegs heil davongekommen
ist sie bloß, weil Leif gedacht hat, er hätte sie zu hart angefasst. Hat er ja auch!
Nora biegt um die Ecke und vergewissert sich, dass er ihr nicht folgt. Sie versucht, ihre wirren Gedanken zu ordnen. Es ist
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