Liebe und andere Schmerzen
hinein passen können. Es fasste nicht mehr als ein Bett, einen alten, von Rissen überzogenen Holztisch und eine komplette Wandseite mit Büchern, die er die Wand hoch aufeinandergestapelt hatte. Regale besaß er keine. Er war ein ärmlicher Junge ohne Bartwuchs, und bereits Mitte zwanzig. Er fühlte sich erbärmlich, denn er vermochte ihr nichts zu bieten. Ihre graziöse, elegante Erscheinung schien nach vielem zu verlangen. Und hierüber mochte auch ihr offenbar menschenfreundlicher Umgang mit Anderen nicht hinwegzutäuschen.
Deshalb tat Lennart der Zuspruch äußerst gut. Er ließ Fjodor Michailowitsch weiter erzählen, dessen Worte flossen wohltuend durch Lennarts Geist. Fjodor wurde nicht müde zu schildern: »Mein Gott! Das Herz zog sich mir krampfhaft zusammen. Und wie schüchtern ich auch sonst dem weiblichen Geschlechte gegenüber bin, so war dies doch ein derartiger Augenblick, dass mich meine Schüchternheit verließ. Ich wandte mich um, trat zu ihr hin und ...« Fjodor sprach Lennart aus der Seele. »... und hätte zweifellos mit den Worten ›Meine Gnädige!‹ begonnen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass diese Anrede schon tausendmal in allen russischen Romanen vorgekommen ist, die in der vornehmen Welt spielen. Dies allein war’s, was mir die Zunge lähmte. Aber während ich nach einem Worte suchte, kam das Mädchen aus ihrer Versunkenheit wieder zu sich, blickte um sich, wurde sich ihrer Lage bewusst, schlug die Augen nieder, schlüpfte an mir vorbei und eilte am Gitter entlang.«
»Nur«, sprach Lennart, »du hattest den Vorteil des glücklichen Umstandes, dass sie einem Besoffenen ausgeliefert war und du dich ihr als Held und Beschützer aufdrängen konntest. Bei mir ist es anders.«
»Oh, du ungebetener Kavalier!« Fjodor griff zustimmend Lennarts Einwand auf. »Wie segnete ich dich in diesem Augenblicke! Ich richtete einen flüchtigen Blick auf sie, sie war sehr hübsch und brünett. An ihren schwarzen Wimpern glänzten noch ein paar Tränchen.«
»Ja, ja, ja, lass gut sein, Fjodor, hattest eben Glück. Schwärmen kannst du gut und gerne für dich allein. Sag mir lieber, wie ich meinem Glück auf die Sprünge helfen kann. Was kann ich tun?«
»Nicht einmal im Traume hätte ich geglaubt, dass ich jemals mit einem weiblichen Wesen sprechen würde.«
»Das hilft mir nicht, Fjodor. Das hilft mir keineswegs. Außerdem hast du doch mit ihr gesprochen. Also sag mir lieber, was ich tun kann.«
»Ich verstehe nicht zu schweigen, wenn das Herz in meiner Brust redet.«
»Ich tu mich eben schwer.«
Fjodor schwieg sich aus.
Da verkündete Jean-Jaques hoffnungsvoll schwärmend: »Sie kam, ich sah sie, ich war trunken von Liebe.«
»Das bin ich auch, Jean.« Wenngleich Lennart unter Gleichgesinnten war, die bittere Schwärmerei seiner Freunde machte ihn doch zunehmend trübsinnig, beinahe schwermütig.
Es kam jedoch schlimmer. Nun fielen alle nacheinander in den Tenor der Stimmung ein.
»Dein kurzes schwarzes Haar, das ich gestreichelt, deine hellen Augen, die ich geküsst ...«
»Siegfried!«, suchte Lennart ihn zu unterbrechen, was ihm nur kurzzeitig gelang, in dem er die Augen von Siegfried abwendete. Siegfrieds verträumt schwärmerische Stimme aber ließ ihm nicht die geringste Geistesruhe und riss ungewollt Lennarts Aufmerksamkeit an sich. Lennart wendete Siegfried wieder seinen Blick zu.
»Stella, deine Brust wird meinen Rücken berühren, ich werde mich dir zudrehen und dich streicheln, alles, was Erinnerung aufgehoben hat, wird dann wiederkehren.«
»Nun gib doch endlich Ruhe, Siegfried! Dein Gejammer ist unerträglich, es hilft mir nicht, überhaupt nicht.«
Lennart stieß Siegfried weg, doch schon ließ der Nächste eine Hymne auf die Liebe von den Lippen. »Sie kam, ich sah sie, ich war trunken von Liebe«, jammerte Jean-Jaques und gab Lennarts Verzweiflung noch mehr Nahrung. Lennart schlug beide Hände über den Kopf und schüttelte ihn hemmungslos wild.
»Und wie in Wunden floh ich durch die Straßen,
bis ich, Liebste, verstand, dass ich ein Land,
gefunden, mir ganz zu eigen, aus Küssen und Vulkanen.«
Pablo machte alles schlimmer. Er trieb Lennart endgültig die Hoffnung aus, ließ ihn den Schmerz der Gewissheit, mindestens so weit wie zuvor von seiner Auserkorenen entfernt zu sein, verspüren. Der Strudel der Klagen nahm nicht ab, mit seinen schmerzerfüllten Worten, die Oscar an alle richtete, wurde die Stimmung nur bedrückender. Er schwang eine Rede aus dem Ärmel, so
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