Liebe und Tod in Havanna
Bärchen!«, brüllte die Blondine. »Ich bin fast gestorben vor Lachen, so schlecht warst du!«
Und sie rief noch ein »Schön brav sein, mein Schweinchen, ich geh pinkeln« in den Raum.
»Stört es dich nicht, wenn jemand so mit dir redet, Papa?«
»Ach, Kleiner, sie fand mich nun mal schlecht. Na und? Ich war ja auch schlecht. Ich bin immer schlecht, aber das juckt mich nicht, das Publikum liebt mich, das hat die Kritik im Figaro doch genau auf den Punkt gebracht, oder? ›Er spielt falsch, nicht eine Minute nimmt man ihm die Figuren ab, die er verkörpert, aber um nichts in der Welt würde man auf ihn verzichten wollen!‹ Wie du siehst, bin ich nie arbeitslos! Ich glaube fast, dass man mich gerade deshalb engagiert, weil ich schlecht bin, zumindest werfe ich keinen Schatten, ich werte die Hauptdarsteller auf. Neben mir wirkt selbst der erbärmlichste Schmierenkomödiant wie Jouvet.«
»Und die dicke Blondine? Die nennt dich Bärchen!«
»Das ist doch hübsch, oder? Bärchen. Das passt gut zu mir. Besser als Dickfrosch oder Küchenschabe!«
»Du hast wirklich gar keine Ambitionen, oder, Papa? Du bist zufrieden, so, wie es ist!«
»Glaub das nicht, Kleiner, glaub das nicht! Zufrieden ist nicht das richtige Wort, nur ehrgeizige Menschen sind zufrieden mit sich selbst. Sagen wir lieber, ich bin realistisch. Genau, so kann man es sagen, realistisch, ich bin viel rumgekommen und habe eine ganze Menge Höllentrips hinter mir. Und das ist normal in meinem Alter. Ich war noch fast ein Junge, als ich den Vietnamkrieg miterlebt habe, ich habe im Radio vom Desaster von Dien Bien Phu gehört. Ich habe den Algerienkrieg erlebt, den schmutzigsten und grausamsten aller Kolonialkriege. Den Putsch von General de Gaulle ‘58, und die große Kulturrevolution von ‘68. Du lagst im Mai ‘68 noch in den Windeln, du hast die Utopie nicht kennengelernt. Aber wir, mein Kleiner, deine arme Mutter und ich, haben daran geglaubt. Wir waren überzeugt, dass wir die Welt verändern würden! Und was ist nun aus dieser Welt geworden, hm? So mancher hat sich nie davon erholt, sieh dir mal deine Mutter an.«
Er redete nun wie ein Prediger, wobei er sein Glas Saumur erhob. »Die arme Frau, möge Krishna ihrer Seele gnädig sein! Sie mit ihrer verwanzten Sekte mit diesem ganzen Öko-Hippie-Scheiß!«
Dann blickte er seinen Sohn mit seinen großen blauen Augen hart an. »Da sind mir doch ein anständiges Rumpsteak und die Hüften einer dicken Blondine lieber, wie du siehst. Was die Revolution angeht, gebe ich den Kelch an dich weiter, für die seid ihr jungen Leute zuständig! Apropos, wie geht es deiner afrikanischen Statue?«
So nannte der Alte Anne, wegen ihren hoch angesetzten, festen Brüste und ihren vollen Lippen.
»Mäßig. Ich habe das Gefühl, dass sie die Nase voll hat von mir!«, erwiderte Jo.
»Normal! Das ist nur menschlich! Alles nutzt sich irgendwann ab, wie heißt es doch so schön: Glück und Glas, wie leicht bricht das. Sieh mal, wie ich es mache: Ich lasse es gar nicht erst so weit kommen, dass eine von mir die Nase voll hat, ich verschwinde immer zuerst.«
»Das mit der Blonden ist erbärmlich, Papa!«, sagte Jo und suchte dabei mit dem Blick den hinteren Teil des Saals ab. »Achtung, da kommt sie wieder!«
»Sie ist dumm und vulgär, aber im Bett, mein Kleiner, das ist das große Rex!«, rief der Alte und verdrehte die Augen gen Himmel.
»Ciao, Papa!«, rief Jo, als er in ein Taxi sprang, »pass auf dein Herz auf!«
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Jo war am nächsten Tag wieder zum Pferderennen gegangen, zunächst mit dem Professor, an den darauffolgenden Tagen dann, als er es satt hatte, dem erleuchteten Clochard hinterherzulaufen, allein.
Er glaubte, alles begriffen zu haben.
Voller Wonne hatte er am Rande der Rennen eine elegante und wohlhabende Welt entdeckt: Witwen mit großen Hüten, Cousins des Prinzen von Wales, reiche Araber mit Tweedjacken in der Begleitung langbeiniger Nymphen, kleine Huren aus Osteuropa.
Er hatte begonnen, sich im altenglischen Stil zu kleiden, sehr zu Annes Belustigung. »Mein Mann hat sich in einen englischen Lord verwandelt! Erst Hemingway und jetzt auch noch Oscar Wilde. Er ist zwar kein großer Schriftsteller, aber er schafft es, sie alle nachzuäffen, und derweil gibt seine Frau Privatunterricht, um ihm die Socken aus schottischem Garn und den Kaschmir zu bezahlen!«
Manchmal gewann Jo beim Pferderennen, und in den ersten Wochen gelang es ihm, mit etwa plus minus null
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