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Liebe und Tod in Havanna

Liebe und Tod in Havanna

Titel: Liebe und Tod in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérômel Savary
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durch die Menge davon.
    »Der Wagen der Botschaft wartet auf uns, Papa. Gehen wir?«, rief Jo.
    »Ich Idiot! Ich hätte mitfahren sollen!«, fluchte der Alte.
    Als er vor dem Theater in den Wagen der Botschaft steigen wollte, entdeckte der Alte den wackeligen De Soto, der gerade losfuhr. Hinten auf der Ladefläche saß die junge Frau in einer Gruppe von Männern in Hemdsärmeln, die bereits lachend im Chor deklamierten:
     
    »Schrecklich kracht ein hartes Ei!«
     
    »Warten Sie auf mich«, brüllte der Alte. »Warten Sie auf mich! Ich komme!«
    »Was machst du denn, Papa? Bist du verrückt geworden?«
    »Das erkläre ich dir morgen, Söhnchen. Entschuldige mich beim Botschafter.«
    Und schon war der Alte auf die Ladefläche des Lastwagens gesprungen.
    »Aber warte doch, Papa! Erklär mir doch mal, was du da tust!«
    »Zu kompliziert, Jo. Die Poesie ruft, ganz einfach!«
     
    ––– ¤ –––
     
    Wenn doch Prévert diesen alten Lastwagen hätte sehen – und vor allem hören — können, der in dieser Vollmondnacht über die Autobahn in Richtung Pinar del Río fuhr. Bestimmt hätte er seine Gauloises gefressen, wenn nicht seinen Hut.
    Fast all seine Gedichte wurden aufgesagt, zwischen Gelächter und einigen Gläsern Rum.
    Bei jeder Unebenheit auf der Straße – und das sind in Kuba weiß Gott nicht wenige – fiel die junge Frau dem Alten in die Arme. Sie war unglaublich dünn und zart, aber ihre Brüste waren schwer und ihr Po rund und fest.
    Der Alte schwebte im siebten Himmel und er schämte sich kein bisschen, dass er der Eindringling war, der heimliche Passagier, auf diesem Lastwagen voller Poeten. Und war er etwa kein Poet?
    Seine Gefährten schienen höchsterfreut, ihn dabeizuhaben. Er fragte sich, welcher der hübschen Burschen der Mann der Lehrerin war. War es der Parteisekretär mit dem stolzen Blick? Oder der Chef des Revolutionskomitees mit Che-Guevara-Bärtchen? Oder der Arzt der Poliklinik?
    Als hinter den Kalksteinkegeln von La Palma die Sonne aufging, stieg, an jeder Straßenecke, einer nach dem anderen von dem Lastwagen, bis der Alte und die junge Frau auf der Ladefläche allein geblieben waren.
    Sie hatten das Dorf hinter sich gelassen und fuhren nun durch silbern schimmernde Reisfelder.
    Merkwürdigerweise hatte die Gegend Ähnlichkeit mit Vietnam. Hier und da standen Büffel. Schweine und Hühner liefen frei herum und überquerten die Straße. Die Hügel ringsum waren mit tropischer Vegetation bewachsen. Und überall in den Hügeln waren kleine Holzhäuser verstreut und Wasserfälle stürzten in tiefe Schluchten.
     
    Der Wagen hielt vor einer winzigen Schule, die wie ein Spielzeug am Straßenrand stand.
    Ein kleines Holzhaus mit einem winzigen Patio. Und eine José-Marti-Büste zu Füßen einer Kokospalme.
    Das Haus war weiß gekalkt, die Säulen im Patio und die Fensterläden des einzigen Zimmers im ersten Stock waren hellblau gestrichen.
     
    »Das ist mein Palast!«, sagte die junge Frau, als der Lastwagen am Horizont verschwand. »Das Klassenzimmer ist unten, mein Zimmer oben. Und rundum nichts als Tabak- und Reisfelder.«
    »Und die Kinder? Wo kommen die her?«, fragte der Alte neugierig. »Wir sind doch hier mitten auf dem Land!«
    Sie lachte und nahm einen gelehrten Ton an. »Das ist eben Kuba, mein Herr! Hier kommen die Kinder nicht zur Schule, die Schule kommt zu ihnen! Wenn du nicht zu faul bist« – es war das erste Mal, dass sie ihn duzte, und er erschauerte vor Freude –, »sieh morgen früh aus dem Fenster, dann kannst du sie zu Fuß über die Felder kommen sehen. Das ist unser Prinzip, jedes Kind muss zu Fuß zur Schule gehen können. So gibt es keine Ausrede für Analphabeten!« Dann nahm sie sanft seine Hand und zog ihn hinter das Haus.
    »Komm, ich zeig dir die Dusche.«
    Sie stiegen den Hügel nur wenige Meter hinunter, bis sie an einen Wasserfall gelangten, der hinter einer kleinen Baumgruppe versteckt war.
    Maria ließ ihr Kleid herabgleiten und stand schließlich nackt vor ihm.
    »Na los, sei nicht so schüchtern, ich dreh mich auch um, wenn du willst.«
    Und sie drehte sich tatsächlich um. Sie hatte kleine, aber runde Pobacken, die sich in den Himmel zu recken schienen. Lachend trat sie unter den Wasserfall.
    Er zog sich ebenfalls aus und gesellte sich zu ihr unter den kalten Strahl.
    Dort gab sie ihm den ersten Kuss. Einen langen, sehr sanften Kuss, bei dem ihre Lippen die seinen nur ganz leicht berührten.
    Er ließ es geschehen, wie ein Kind. Er, der

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