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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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völlig identisch ist. Bei Frauen steuert
nicht der Nucleus praeopticus medialis, sondern der Nucleus ventromedialis die sexuelle Lust.
    Unsere Sexualhormone sind ebenso verschieden wie unsere wichtigste Andockstelle im Gehirn. Aber: Auch hier fällt es schwer zu sagen, dass sich Frauen und Männer in ihrem Sexualverhalten immer und grundsätzlich unterscheiden. Wie viele Frauen verhalten sich in ihrer Sexualität dem Klischee nach männlich, wenn sie viele One-Night-Stands haben und häufig wechselnde Sexualpartner ausprobieren. Es gibt Frauen, denen es (ganz ohne Kinderwunsch) schwer fällt, einem sehr attraktiven Mann zu widerstehen, selbst wenn sie glücklich liiert sind. Und wie viele Männer sind gegen alles Klischee tatsächlich brave Familienväter, denen nichts ferner liegt, als jede attraktive Frau begatten zu wollen?
    Über das Treue- und Untreueverhalten von Männern und Frauen ist bis heute sehr wenig bekannt. Kein Wunder übrigens, denn wer möchte einem Wissenschaftler darüber auch schon treuherzig Auskunft geben? Die Kinsey-Studie schätzte 1953, dass 50 Prozent der Männer und 26 Prozent der Frauen in den USA außereheliche Affären hatten. Eine Befragung von 8000 verheirateten US-Amerikanern und US-Amerikanerinnen aus dem Jahr 1970 kam zu dem Schluss, dass 40 Prozent der Männer und 36 Prozent der Frauen mindestens eine außereheliche Affäre gehabt hatten. Der Hite-Bericht aus dem Jahr 1987 sah 75 Prozent untreue Männer und 70 Prozent untreue Frauen. Was auch immer man von diesen Zahlen hält – offenbar verraten sie mehr über den Zustand der Gesellschaft in den USA als über die biologische Ausstattung des »Menschen«.
    Interessant daran ist eigentlich nur, dass die Geschlechter sich ganz offensichtlich nicht immer stereotyp verhalten. Denn woher kommen sexuell freizügige Frauen und zurückhaltende Männer, wenn unser unterschiedlicher genetischer Auftrag und mit ihm der Hormonhaushalt die Spielregeln vorgibt?
    Es ist eine unübersehbare Crux all der zahlreichen Klaus-&-Gabi-Fibeln
zu unserer Sexualchemie, dass sie die Deutungsmacht ihrer chemischen Erklärungen stark überschätzen. »Alles ist Chemie«, behauptet ein Ratgeber zum Thema frech. Mit gleichem Grund freilich könnte man auch sagen, dass alles Physik ist, denn ohne Naturkräfte keine Chemie. Tatsächlich alles Chemie? Kein Zweifel daran, dass all unsere emotionalen Erregungen sich in chemischen Prozessen niederschlagen. Aber was ist der Lichtschalter, und was ist das Licht? Für unseren Hormonspiegel kann unsere Psyche vielleicht nicht allzu viel, aber ohne sie würden wir uns weder in einen anderen Menschen verlieben noch eine dauerhafte Bindung eingehen.
    Was uns in unserem Geschlechterverhalten bestimmt, sind also nicht nur der Hypothalamus und unsere Hormone. Fast völlig untrennbar spielen sie in der Realität unseres Alltagslebens zusammen: unsere Sexualhormone, unsere Erfahrungen und unsere Einstellungen zu verschiedenen Vertretern des anderen Geschlechts. Ein beträchtlicher Teil dessen, was unser Geschlechterverhalten und unser Selbstverständnis ausmacht, verdankt sich dabei nicht nur der Biologie, sondern auch der kulturellen Evolution. Wenn Frauen den Duft von Deos dem Geruch von Achselschweiß vorziehen, wenn sie »kultivierte« Männer mit sauberen Fingernägeln schätzen, wenn Männer hochhackige Schuhe bevorzugen, so erscheint unser biologisches Erbe kulturell übermalt.
    Hormone sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die tatsächlich einen Unterschied machen. Aber die Grauzonen im tatsächlichen Geschlechterverhalten verwischen häufig die klare Kontur der Theorie. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass Hirnforscher die von manchen Biologen vermuteten »Module« für das geschlechtertypische Verhalten im Gehirn nicht finden können. Diese »Module« können keine Gehirnregionen sein und auch keine völlig unterschiedlichen Nervenbahnen. Wenn es sie denn gibt, so sind sie etwas Hochkompliziertes, das sich nicht einfach nachweisen lässt in der Hirnanatomie oder in der Hirnchemie.
Noch im Jahr 2009 jedenfalls hat der Streit um »geschlechtsspezifische Verhaltensmodule« einen stark religiösen Charakter.
    Module sind eine Glaubensfrage, ebenso wie ihre mutmaßliche Ausprägung in einer mutmaßlichen Steinzeit von Jägern und Sammlerinnen. Doch was immer wir darüber in der Zukunft auch lernen oder nicht lernen werden – unsere eigenen Erfahrungen, unsere individuellen Vorlieben und unsere persönlich

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