Liebe
anderen, vergewaltigt zu werden.« 41
Nach Weininger und spätestens mit de Beauvoir jedenfalls war die Trennung von biologischer Rolle (sex) und sozialer Rolle (gender) in der Welt. In den Worten John Moneys: »Der Begriff der Geschlechterrolle (gender role) wird benutzt, um all jene Dinge zu beschreiben, die eine Person sagt oder tut, um sich selbst auszuweisen als jemand, der oder die den Status als Mann oder Junge, als Frau oder Mädchen hat.« 42 Doch wie weit geht
diese Trennung von Biologie und Status? Wie hängen die beiden Geschlechterrollen zusammen?
Ist der Mensch bei der Gestaltung seiner Rolle als Mann oder als Frau frei, oder bestimmt ihn von Anfang an sein biologisches Geschlecht? Evolutionäre Psychologen und viele (wenn auch nicht alle) Feministinnen stehen sich hier feindlich gegenüber. Für die einen ist fast alles festgelegt, für die anderen fast nichts.
Die konservative Fraktion ist überzeugt: Jungen spielen lieber mit technischem Spielzeug wie Bauklötzen oder Lego, Mädchen bevorzugen Puppen und soziale Spiele. Bei Jungen geht es rabiat zu, bei Mädchen netter. Und in Baron-Cohens Babytest interessierten sich die Mädchen stärker für Gesichter und die Jungen mehr für das Mobile. In Sozialberufen finden sich bis heute mehr Frauen, in technischen Berufen mehr Männer, jedenfalls in der westlichen Welt. Die Unterschiede in der Kleidung sind nicht mehr so streng wie noch vor fünfzig Jahren, aber Frauen mit Krawatten sind bis heute selten, und geschminkte Männer sind es auch.
Lassen sich die Wahl der Berufe und die Mode noch als gesellschaftliche Einflüsse abtun, so ist das mit den Kinderspielen und erst recht mit dem Babytest schon schwieriger. Warum gibt es viel mehr Jungen, die mit Leidenschaft Ego-Shooter-Spiele am Computer spielen als Mädchen? Und warum telefonieren Mädchen mehr mit ihren Handys?
Einen viel diskutierten Ausweg aus dem Dilemma derjenigen Feministinnen, die eine biologische Geschlechterrolle abstreiten, bietet die US-amerikanische Kulturphilosophin Judith Butler in ihrem feministischen Kultbuch Das Unbehagen der Geschlechter. Butler bestreitet nicht nur die Bedeutung des biologischen Geschlechts, sondern auch der Begriffe männlich und weiblich. Männlichkeit und Weiblichkeit »an sich« gäbe es im Grunde doch gar nicht, sondern immer nur »Konstruktionen« und »Interpretationen«. Mag sein, dass Jungen sich oft für Technik interessieren,
aber das mache weder die Technik männlich noch die Jungen. In der Gesellschaft lauern überall Klischees und voreilige Zuschreibungen. Der Versuch, jederzeit Zweigeschlechtlichkeit aufzuspüren, sei eine ziemlich unsinnige Idee, geboren aus der Phantasie heterosexueller Männer. Ob etwas »männlich« oder »weiblich« sei, könne in Wahrheit niemand neutral feststellen. Beide Vorstellungen kämen nur als Ideen und Deutungen überhaupt in die Welt. Und das biologische Geschlecht, so wie wir es allgemein als Mann oder Frau verstehen, sei eine sprachliche und kulturelle »Erfindung«.
Die Idee, dass alle Eigenschaften, die ich anderen zuschreibe, nichts als Interpretationen sind, stammt von dem französischen Philosophen Michel Foucault; die Idee, dass es kein »Geschlecht an sich« gäbe, von dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan. Judith Butler denkt beides zusammen in der Formel: »Geschlechtlichkeit ist nichts, was man hat, sondern das, was man tut.« Mit anderen Worten: Man benimmt sich auf eine unbestimmte Art und Weise, die andere auf eine bestimmte Art und Weise ausdeuten. Mann und Frau stellen sich selbst alltäglich dar und stellen damit ständig her, was sie angeblich sind.
Die Gender-Forschung und der Feminismus sind der natürliche Feind der evolutionären Psychologen. Denn gemäß der Theorie des egoistischen Gens liegt die eigentliche Aufgabe der Geschlechter bekanntlich in der Vermehrung. Was immer wir an männlichen und weiblichen Verhaltensweisen auffinden, es soll der Sexualität und der Brutpflege dienen. Denn alles andere ergibt ja keinen biologischen Sinn. Geschlecht und soziales Verhalten müssen demnach zwingend auseinander hervorgehen. Tun sie es nicht, wie bei kinderlosen Paaren, bei Homosexuellen, bei Transvestiten, bei Transsexuellen, bei Männern, die Frauen nach der Menopause begehren, bei jüngeren Männern, die sich sterilisieren lassen und so weiter, haben evolutionäre Psychologen ein schweres Problem. Warum verhalten sich Menschen so stark gegen die biologische Norm? Der Boden
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