Liebe
als bei Männern. Die Folgen seien offensichtlich: Weil Gefühl und Verstand bei Frauen stärker im Einklang seien, hätten sie deshalb bessere Intuitionen. Und auch die Fähigkeit zum Multitasking liegt schlicht an den besseren Leitungen.
Das Erstaunliche an der Studie von De-Lacoste Utamsing und Holloway aus heutiger Sicht ist, dass sie so lange so ernst genommen wurde. Die Studie löste eine wahre Hysterie nicht nur unter Hirnforschern aus, sondern inspirierte auch das erwähnte Buch über Brain Sex. Unter den Tisch fiel dabei der Umstand, dass die Forscher von den ursprünglich analysierten 28 Gehirnen nur die Hälfte in ihr Fazit mit einbezogen hatten. Seit den 1980er Jahren riss die Zahl der Studien zum Corpus Callosum gleichwohl nicht mehr ab. Eine wahre Wissenschaftskomödie um den ominösen Balken setzte ein. Die einen bewiesen einen größeren Abschnitt im hinteren Teil des Corpus Callosum bei Frauen. Manche behaupteten sogar einen insgesamt größeren Balken bei Frauen. Andere hingegen wollten einen größeren Balken bei Männern entdeckt haben! Und wiederum andere – und das sind bis heute die meisten – konnten überhaupt keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern ausmachen.
Dieses Ergebnis ist keineswegs enttäuschend. Denn es ist viel zu naiv gedacht, wenn man glaubt, psychologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern könne man im Gehirn einzeichnen wie auf einer Landkarte. Ein so komplexes Phänomen wie unsere Sprache lässt sich weder an einer Furche festmachen noch in einem Bündel von Nervensträngen. Wie gut wir reden, schreiben, Sätze verstehen, Kontexte begreifen, Grammatik lernen oder uns in Fremdsprachen einfühlen ist ein Prozess, der auf viele unterschiedliche Hirnzentren verteilt ist. Und selbst wenn
wir diesen Prozess besser verstünden, als wir es gegenwärtig können, ist unser Sprachvermögen noch immer auch eine Sache von angeborenen Begabungen, von frühkindlichen Prägungen, von Erfolgs- und Misserfolgserlebnissen und von vielem mehr. Unterschiede in der Hirnanatomie, selbst wenn sie hierfür eine Rolle spielen sollten, dürften vergleichsweise unwichtig sein.
Man kann sich das Problem an einem Vergleich klarmachen: Psychologische Verhaltensweisen im Gehirn zu identifizieren, ist ungefähr so schwierig, als wenn ein Laie einen Computer aufschraubt, um sein Rechtschreibprogramm auf den vielen Nullen und Einsen eines Computerchips zu suchen. Die immer zahlreicheren Bücher, die uns die unterschiedlichen Gehirne von Frauen und Männern erklären, sind also ziemlich verdächtig.
Der Mann, der sich in dieser Frage gegenwärtig am meisten aus dem Fenster lehnt, ist der Engländer Simon Baron-Cohen. Sollte Ihnen der Name vertraut vorkommen, so liegt dies möglicherweise an seinem berühmten Cousin Sacha Baron Cohen, dem Komiker »Borat«. Doch Simon Baron-Cohen ist kein Komiker und trotz seiner steilen Thesen auch kein Scharlatan; er ist einer der bekanntesten Experten zum Phänomen des Autismus. Sein populäres Buch Vom ersten Tag an anders über das männliche und weibliche Gehirn allerdings ist äußerst umstritten. Denn Baron-Cohen ist kein Hirnforscher, sondern Professor für Psychologie am Trinity College der University of Cambridge. Seine Erklärung für den Unterschied zwischen Frau und Mann ist ganz einfach. Je mehr Testosteron ein Fötus im Mutterleib ausbildet, umso stärker weicht sein Gehirn von der weiblichen »Normalform« ab. Ab einer bestimmten Dosis wird es so männlich, dass es sogar zu einer Störung kommt – dem Autismus. Autisten sind Menschen, die die Gefühle anderer Menschen nur schwach oder gar nicht wahrnehmen; sie leben in ihrer »eigenen Welt«. Der normale Mann dagegen ist eine Zwischenform zwischen dem eigentlich weiblichen Menschen und einem Autisten.
Hat Baron-Cohen recht, so sind die Gehirne von Mann und Frau fundamental verschieden. Aber es ist nicht alles schlecht am Mann. Zwar haben Frauen die perfekten Einfühlungsgehirne (E-Hirn), dafür sorgen Testosteron und eine gesunde Portion Autismus beim Manne für ein Talent zur Systematik (S-Hirn). Schon Babys, so meint Baron-Cohen, zeigten diesen Unterschied. Einjährige Mädchen schauen gerne und länger in echte Gesichter; Jungen bevorzugen ein Mobile mit Gesichtsschnipseln. Es fehlt nicht viel und man könnte glauben, es handele sich bei Mann und Frau um zwei verschiedene Tierarten. Was und wie viel machen sie mit uns: die Hormone? Machen sie uns völlig anders, manipulieren sie uns,
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