Liebe
wichtigste Hirnregion für den Unterschied zwischen Männern und Frauen ist der Hypothalamus. Gerade einmal so groß wie eine Erbse, ist er doch so etwas wie das »Gehirn« unseres Gehirns. Im Zwischenhirn angesiedelt, steuert er unser vegetatives Nervensystem. Der Hypothalamus beeinflusst die Körpertemperatur und den Blutdruck, reguliert unser Hungergefühl, unser Schlafbedürfnis und eben auch unser Sexualverhalten. Besonders pikant daran ist, dass ein Kern des Hypothalamus, der Nucleus praeopticus medialis bei Männern stärker
ausgebildet ist als bei Frauen. Bezeichnenderweise spielt er eine große Rolle sowohl im Aggressionsverhalten wie bei der Sexualität, die hier eng miteinander verbunden sind.
Doch nicht nur in unseren vegetativen Gefühlszentren, auch in der Hirnrinde mit ihren höheren Hirnfunktionen gibt es Rezeptoren für Testosteron. Und wenn sich schon in der Hirnanatomie kaum Unterschiede zwischen Mann und Frau finden, könnten die häufig vermuteten grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht auf solche Rezeptoren zurückzuführen sein?
Die Antwort ist schwierig. Zwar vermuten die allermeisten Hirnforscher, dass unsere Sexualhormone unsere Denkfähigkeit beeinflussen, aber wie und in welchem Maße dies geschieht, können sie kaum nachweisen. Ein schillerndes Beispiel ist wieder einmal der Test zum räumlichen Vorstellungsvermögen. Viele Wissenschaftler vermuten, dass die im Schnitt leicht besseren Testergebnisse bei Männern auch auf den Einfluss von Testosteron zurückzuführen sind. Amüsanterweise jedoch zeigte die kanadische Psychobiologin Doreen Kimura von der John Fraser University in Barnaby/British Columbia, dass Männer mit einem niedrigen Testosteronspiegel ein klar besseres räumliches Vorstellungsvermögen haben als die Testosteronbomber. Ist dies richtig, so fehlt der evolutionsbiologischen Gleichung vom begehrten supermaskulinen Mammutjäger als Jagd- und Orientierungsgenie jede Grundlage. Kein Wunder demnach, dass die besten Mathematiker nicht unbedingt immer dem Klischee eines äußerst männlichen Mannes entsprechen. Schon in den Schulklassen trennen sich oft genug die schmächtigen Mathe-Freaks von der kraftstrotzenden Moped-Fraktion.
Simon Baron-Cohens Modell, wonach Männer ein umso besseres Orientierungs-Gehirn haben, je männlicher sie sind, ist also wohl auf Sand gebaut. Und dass besonders feminine Frauen grundsätzlich schlechter Auto fahren und dafür umso mehr Einfühlungsvermögen besitzen, darf man ebenfalls bezweifeln. Was
immer die weiblichen Sexualhormone Östradiol und Progesteron beim Denken anrichten mögen – jedenfalls blockieren sie weder die räumliche Intelligenz noch machen sie von sich aus sensibel und gesprächig.
An der Tatsache, dass es wichtige hormonelle Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, ist nicht zu zweifeln. Doch auch hier muss klar sein, dass die Unterschiede im Hormonspiegel von Mann zu Mann und von Frau zu Frau beträchtlich sind. Das macht es nicht gerade leicht, grundsätzliche Behauptungen darüber aufzustellen, wie »Männer« und »Frauen« sein sollen. Die Tatsache, dass die unterschiedlichen Hormonkonzentrationen samt ihrer Rezeptoren im Hypothalamus der einzige wirklich verbindliche Unterschied zwischen den Geschlechtern ist, sollte uns zudem nicht dazu verführen, voreilige Schlüsse zu ziehen. Weder beweisen sie eine grundlegende Verschiedenheit im Denken, noch führen sie zu verbindlichen Aussagen darüber, wie jemand tickt. Der Satz: »Sage mir, wie dein Hormonspiegel aussieht, und ich sage dir, was für ein Typ Mensch du bist«, gilt nur eingeschränkt. Das eben genannte Beispiel mit den Rhesusaffen zeigt eindringlich, wie sehr unsere Um- und Mitwelt über unsere Hormonausschüttungen mitbestimmt. Und der Gedanke, dass unser Charakter am Hormonspiegel ablesbar sei, wie die Temperatur auf einem Thermometer, bleibt nach wie vor absurd. Starke Hormonkonzentrationen gerade von Testosteron führen häufig zu Aggressivität; sie können aber genauso gut in autodestruktives Verhalten umschlagen. Wann und unter welchen Umständen dies bei jemandem geschieht, ist höchst individuell.
Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrem spezifischen Hormoncocktail. Und auch der Lebenszyklus ihrer Hormone ist unterschiedlich. Schwangerschaft oder Wechseljahre beeinträchtigen den Hormonhaushalt der Frau maßgeblich; etwas direkt Vergleichbares gibt es bei Männern nicht. Kein Wunder, dass auch der Sexualtrieb nicht
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