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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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wird hier zustimmen. Für einen evolutionären Psychologen jedoch ist diese Trennung von Geschlecht und Identität der größte anzunehmende Unfall in der Theorie. Dass das soziale Geschlecht nur ziemlich lose mit dem biologischen Geschlecht verknüpft sein soll, darf nicht sein. Kein Wunder, dass er in den immer breiter aufgefächerten Geschlechterrollen in der westlichen Kultur ein Problem sieht, wenn nicht sogar eine Degeneration. Das Einzige, was ihn gleichwohl beruhigt, ist der Blick weg von unserer immer merkwürdigeren Gesellschaft. Schauen wir lieber hinaus in die weite Welt. Ist es mit Mann und Frau nicht überall irgendwie das Gleiche? Und kann das wirklich nur »Kultur« sein, wenn wir an allen Orten ein sehr ähnliches oder gleiches Verhalten der Geschlechter beobachten können?

Samoa
    Sie war eine der am höchsten gefeierten Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit. Ihre 40 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, 28 Universitäten verliehen ihr die Ehrendoktorwürde. Sie war die Frau, die gezeigt hatte, dass unser Bild der Geschlechter nur eines unter vielen möglichen ist und dass es zwischen Mann und Frau auch anders geht als in der westlichen Zivilisation. In über tausend Fachaufsätzen hatte sie es bewiesen. Für die 68er-Bewegung, vor allem für ihre Mitstreiterinnen, war sie eine Ikone. Umso dramatischer wurde der Absturz.

    Margaret Mead wurde im Jahr 1901 in Philadelphia geboren als ältestes von fünf Kindern einer politisch liberalen Familie. An der Columbia University in New York gehörte sie zu den Lieblingsschülerinnen ihres berühmten Lehrers Franz Boas. Der deutsche Völkerkundler in New York genoss Weltruhm. Es war ihm gelungen zu beweisen, dass die Indianer von Asien aus über die Beringstraße nach Nordamerika eingewandert waren. Nun erforschte er die Kultur der Indianer, der Inuit und der Polynesier. Margaret Mead war gerade 23 Jahre alt, als Boas sie nach Samoa in den Pazifik schickte. Die polynesische Insel war ein Mythos der abendländischen Phantasie, ein Paradies der Unschuld und ein Ziel sexueller Phantasien. Ganz auf sich gestellt, begann Mead auf Samoa mit ihren Forschungen. Die Frage, die Boas ihr mitgegeben hatte, lautete: Ist die Pubertät der Mädchen auf Samoa die gleiche wie in den USA? Mead zog als Gast in das Haus einer auf Samoa ansässigen US-amerikanischen Familie. Ein Sprachunterricht von einer Stunde am Tag sollte ihr dabei helfen, ihre Interviewpartnerinnen zu verstehen. Mead suchte sich 25 junge samoanische Mädchen und befragte sie ein halbes Jahr lang nach ihren Gefühlen und Erfahrungen. Das Buch, das sie darüber schrieb, wurde eine wissenschaftliche Sensation: Coming of age in Samoa (»Kindheit und Jugend in Samoa«).
    Die Pointe des Buches war: Die Pubertät in Samoa ist ganz anders als in der westlichen Welt. Danach leben junge Samoanerinnen in einem geradezu paradiesischen Einklang mit sich, mit den Männern und mit der Natur. Rollenkonflikte, Unterdrückung und Ängste, die die Pubertät junger Mädchen in den 1920er Jahren in den USA bestimmten, seien den jungen Mädchen auf Samoa fremd. Und der Grund dafür war leicht benannt: Weil die Männer auf Samoa ihre Frauen nicht unterdrückten, sondern gleichberechtigt behandelten, sei das Leben dort nahezu sorgenfrei.
    Meads Lehrer Franz Boas war begeistert. Denn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhitzte jene Frage die Gemüter, die
gegenwärtig noch immer aktuell ist: angeboren (nature) oder anerzogen ( nurture )? Was heute die evolutionären Psychologen sind, war damals eine Gruppe radikaler Darwinisten und Sozialdarwinisten. Ihre Gegner, wie Boas, sympathisierten dagegen mit einer noch jungen Disziplin der Verhaltensforschung: dem Behaviourismus. Wenn alles menschliche Rollenverhalten angeboren sein soll, so argumentierte Boas auf sehr moderne Weise, dann dürfe es davon keine großen Ausnahmen geben. Doch warum waren die Kulturen in der Welt dann so verschieden? Margaret Meads Samoa-Buch passte Boas ausgezeichnet ins Konzept. Hier hatte er den Beweis, dass Kulturen ganz unterschiedlich sein konnten, auch und insbesondere in ihrem Rollenverständnis von Mann und Frau.
    Margaret Mead avancierte zum Star. Sie reiste nach Neuguinea und untersuchte auch dort die Kultur der Ureinwohner. Wiederum stellte sie fest, dass die Geschlechterrollen anders waren als in den USA. Was vielen Wissenschaftlern ein »natürliches« Verhalten von Mann und Frau war, löste sich auf in viele verschiedene Eigenheiten von

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