Liebe
für eine biologische
Erklärung der sozialen Geschlechterrolle ist schwankend. Doch da es nicht angeht, dass beide recht haben, evolutionäre Psychologen und Feministinnen, muss gelten: »Es kann nur einen geben!« Entsprechend neigen beide dazu, ihre Position zu überanstrengen. Entweder »alles ist vorgegeben« oder »alles ist anerzogen«.
Der Unterschied zwischen Judith Butler auf der einen und Simon Baron-Cohen oder David Buss auf der anderen Seite ist dabei so groß, dass sie, an einen Tisch gesetzt, sich wohl mit keinem Satz miteinander verständigen könnten. Wenn der evolutionäre Psychologe spricht, redet er von Hormonen, von Gehirnmodulen und von statistischen Belegen. Für Judith Butler sind Gehirnmodule allenfalls »Konstrukte« und eine Statistik zur Geschlechterrolle, ein »Sprachspiel«. Und sie würde die Baron-Cohens und Buss’ fragen, was sie denn überhaupt meinen, wenn sie »weiblich« und »männlich« sagen. Und diese Frage wiederum würden die evolutionären Psychologen lediglich mit einem lächelnden Kopfschütteln quittieren: Was gibt es denn da zu fragen?
Für evolutionäre Psychologen ist das als typisch erachtete Verhalten der Geschlechter ein »biologisches Modul« aus der Steinzeit, für Feministinnen eine »gesellschaftliche Konstruktion« der Neuzeit. Dabei ist es historisch durchaus nicht uninteressant, dass beide Denkrichtungen in der gleichen Zeit ihren Ursprung nahmen, nämlich Ende der 60er Jahre. Die Debatten von 1968 hatten vieles zuvor Selbstverständliche erschüttert. Und auch die Frage nach Mann und Frau bedurfte offensichtlich einer Neubesinnung und Neuordnung. Sowohl die moderne feministische Forschung als auch die Soziobiologie und evolutionäre Psychologie entstanden aus den gleichen Wirren. »Anatomie ist kein Schicksal!«, schleuderten die Feministinnen der biologischen Weltsicht entgegen. Oh doch, die Natur gibt uns unser Geschlechterverhalten vor, konterten die evolutionären Psychologen.
Der Grund für das wechselseitige Unverständnis ist leicht benannt. Denn beide Theorien haben eine philosophische Schwäche. Der Fehler der biologistischen Sicht ist ein allzu naives Verständnis von »Natur«. Wenn wir sagen, dass es die Natur ist, die uns unser Geschlechterverhalten vorgibt, so müssen wir wissen, was »die Natur« ist. Doch was immer wir uns unter »Natur« vorstellen, stets bleibt sie etwas, was Menschen sich denken. Alle unsere Vorstellungen von der Natur sind keine Fotografien der Realität, sondern menschliche Deutungen. Die Natur »an sich« kennen wir nämlich gar nicht. Alles, was wir kennen, ist das Bild, das wir von ihr entwerfen.
Genau dies ist der Punkt, an dem Feministinnen wie Judith Butler ansetzen: Alles ist Deutung, alles ist Zuschreibung! Das ist gewiss nicht falsch, hat aber ebenfalls einen Haken. Der Sport, hinter jeder Feststellung zur Biologie den Anteil an persönlicher Interpretation und kulturellen Mustern aufzuspüren, führt irgendwann ins Absurde. Theoretisch kann ich auf diese Weise jede Feststellung über die Welt zu einem »Sprachspiel« erklären – einschließlich übrigens der eigenen! Einige führende Vertreter der französischen Philosophie in den 1980er und 1990er Jahren haben dies tatsächlich getan. Ihre »Dekonstruktion« der menschlichen Logik, der Denkmuster und vermeintlichen Tatsachen war lange Zeit der letzte Schrei in der Philosophie. Gott sei Dank, muss man wohl sagen, wurden die Philosophen dieses Spiels irgendwann selbst überdrüssig und mehr noch ihr Publikum. Der »Dekonstruktivismus« ist heute nicht mehr en vogue.
Könnte es dabei nicht sein, dass die Frage, ob der Mensch von Natur aus auf eine Geschlechterrolle festgelegt ist, stark überschätzt wird? Es ist ebenso albern zu behaupten, dass von Natur aus nichts da sei, wie darauf zu bestehen, unsere Geschlechtsdentität sei biologisch bestimmt. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Vorgegeben ist nämlich nur unser Geschlecht, nicht aber unsere Identität. Homosexuelle zum Beispiel verhalten sich nicht unbedingt biologisch typisch männlich, wenn sie Männer begehren.
Und Transsexuelle erst recht nicht. Vielleicht kann man sich darauf einigen: Geschlecht ist etwas (veränderbar) biologisch Vorgegebenes. Identität dagegen ist eine »Handlung«. Sie entsteht durch Gewohnheiten, Gefühle und Selbstverständnis. Ist mein Geschlecht auch vorgegeben, so liegt es doch an mir, es wie auch immer zu »verkörpern«, oder eben auch nicht.
Manche Feministin
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