Liebe
Kultur. Wo auch immer Mead hinkam, fand sie kulturelle Unterschiede im Geschlechterverhalten: auf Bali und bei sieben verschiedenen Kulturen im Südpazifik. Die wissenschaftliche Welt verlieh ihr Anerkennung um Anerkennung. Sie wurde Professorin am weltberühmten Museum für Naturgeschichte in New York und Präsidentin der US-amerikanischen Anthropologenvereinigung.
Der tiefe Sturz kam 1981, drei Jahre nach ihrem Tod. Ausgangspunkt war ein Buch des neuseeländischen Anthropologen Derek Freeman, eines ausgewiesenen Samoa-Kenners. Freeman kam fünfzehn Jahre nach Mead auf die polynesische Insel und verbrachte dort die drei Jahre zwischen 1940 und 1943. Er arbeitete als Lehrer, erlernte die Landessprache und erhielt sogar den Titel eines Häuptlings. 1943 trat er freiwillig in die neuseeländische Armee ein. Anschließend ging er nach Borneo. In den 1950er und 1960er Jahren kehrte er nach Samoa zurück, unterrichtete
dort an der Universität und erforschte weiter das Leben der Bevölkerung. Zu seinem Erstaunen fand er kaum einen Beleg für Margaret Meads Behauptungen. Für Freeman war Samoa eine von Männern dominierte Kultur. Die Sensibilität und Romantik in Meads Sicht der Gesellschaft von Samoa erschienen ihm eine Folge von Unkenntnis und Vorurteilen. Das Ergebnis seiner 40-jährigen Studien erschütterte Meads Ansehen in der Fachwelt beträchtlich. Ein Streit setzte ein, der wohl größte in der Geschichte der Anthropologie überhaupt. Freemans Buch ließ an Mead kein gutes Haar. Die junge Studentin hatte die Sprache nicht beherrscht, sie hatte sich belügen lassen, und sie hatte nur das bei den Samoanern sehen wollen, was in ihr Weltbild passte.
Freeman hatte ins Schwarze getroffen. Als Margaret Mead ihre Forschungen begann, hatte sie das gewünschte Ergebnis von Anfang an klar formuliert: »Wir hatten zu zeigen, dass die Menschennatur außerordentlich anpassungsfähig ist, dass die Rhythmen der Kultur zwingender sind als die physiologischen Rhythmen... Wir hatten den Beweis zu erbringen, dass die biologische Grundlage des menschlichen Charakters sich unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen verändern kann.« 43 Kein Wunder, dass Mead unter diesen Vorzeichen genau das gefunden hatte, was sie suchte; sie hatte nie vorgehabt, etwas anderes zu entdecken.
Für viele evolutionäre Psychologen war die Demontage von Margaret Mead ein gefundenes Fressen. Nur mit Tricks und naivem Glauben also hatte man den Menschen weismachen können, dass die Kultur von Mann und Frau in anderen Teilen der Welt ganz anders war als in der westlichen Welt. In Wahrheit, so frohlockten sie, gäbe es fast überall sehr ähnliche Rollen und Regeln.
Bezeichnenderweise allerdings gingen Meads Kritiker nun genauso voreingenommen an ihre Demontage wie Mead an die Kultur der Samoaner. Natürlich war die junge Margaret Mead
auf Samoa völlig überfordert gewesen. Und natürlich hielten ihre Ergebnisse aus den 1920er Jahren einer Überprüfung nach dem wissenschaftlichen Maßstab der 1970er und 1980er Jahre nicht stand. Aber Meads wissenschaftliche Bedeutung lag ja nicht allein in ihren Samoa-Studien. Ihre späteren Arbeiten waren in jeder Hinsicht genauer, ausführlicher und differenzierter. Dass Meads Buch über die jungen Mädchen in Samoa wissenschaftlicher Kitsch war, belegte noch lange nicht das Gegenteil: dass alle Kulturen in der Welt ein sehr ähnliches oder gleiches Geschlechterverhalten haben.
Selbstkonzepte
Der Fall Mead zeigt: Je stereotyper sich die Geschlechter verhalten, umso mehr freuen sich die evolutionären Psychologen. Millionen, wenn nicht Milliarden stereotyp handelnder Menschen können doch wohl nicht irren. Wenn Frauen sich in aller Welt wie Frauen verhalten und Männer sich wie Männer benehmen, muss es dafür einen biologischen Grund geben. Denn wo läge der Sinn darin, dass Menschen milliardenfach eine fast immer gleiche soziale Rolle spielen, wenn nicht in der Biologie? Warum sollte uns die Kultur ein solches massenhaftes Rollenmuster denn sonst vorgeschrieben haben?
Auf einer sehr allgemeinen Ebene klingt dies nach wie vor überzeugend. Doch wenn wir uns einmal hineinversetzen, wie unser Geschlechterverhalten entsteht, so spulen wir ganz gewiss nicht einfach ein biologisches Programm ab. Schon als Kleinkinder lernen wir, dass wir Jungen oder Mädchen sind. Unmerklich und sehr früh beginnen wir uns mit unserem Geschlecht zu identifizieren und schauen uns unser Geschlechterverhalten ab, bei Eltern und
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