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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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Zuchtwahl unter Tieren kennt nur den Egoismus; die geschlechtliche Zuchtwahl der höher entwickelten Arten aber mündet beim Menschen in den Altruismus, also in Mitgefühl, Sympathie, Moralität und – Liebe. Hätte Darwin je etwas von Dawkins’ »egoistischen Genen« gehört, so hätte er sie für die niederen Tiere gelten gelassen. Beim Menschen allerdings sah er ihren Furor wenn nicht außer Kraft gesetzt, so doch zumindest stark eingeschränkt durch die Fähigkeit zur Moral.
    Darwins Vorstellungen von der menschlichen Moral waren keine ganz neuen Erkenntnisse. Schon der schottische Moralphilosoph Adam Smith hatte von moralischen Gefühlen beim Menschen gesprochen, und Darwin hatte einen großen Respekt vor Smith. Denn der berühmte Ökonom und wissenschaftliche Begründer des Kapitalismus war ein Menschenfreund nach Darwins Gusto. Bereits 1757 hatte er geschrieben: »So selbstsüchtig auch immer der Mensch eingeschätzt werden mag, so liegen doch offensichtlich bestimmte Grundveranlagungen in seiner Natur, die ihn am Schicksal anderer Anteil nehmen und ihm die Anteilnahme an deren Glück notwendig werden lassen, obwohl er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.« 49
    Es ist gut denkbar, dass Darwin jenen evolutionären Psychologen durchaus skeptisch gegenüberstünde, die sich heute inbrünstig auf ihn berufen. Zwar wollte auch Darwin die Psyche
evolutionär enträtseln. Aber kein Anzeichen spricht dafür, dass er sie auf mathematische Formeln bringen wollte wie Hamilton oder das Erbgut mystifizieren wie Trivers und Dawkins. Sein Ansatz war nämlich keineswegs durch und durch materialistisch. Er erkannte in Psyche und Geist Phänomene mit möglicherweise eigenständigen Regeln und Gesetzen, die sich ihre Spielregeln nicht mehr von den unteren Ebenen der Biologie diktieren ließen. Denn beim Menschen griffen ganz offensichtlich Mechanismen, die sich natürlich nicht erklären ließen. Und diese Mechanismen, so erkannte Darwin, hatten einerseits etwas mit Sensibilität, mit Gefühlen zu tun und andererseits mit Kultur: »So bedeutungsvoll der Kampf um die Existenz gewesen ist und noch ist, so sind doch, soweit der höchste Theil der menschlichen Natur in Betracht kommt, andere Kräfte noch bedeutungsvoller; denn die moralischen Eigenschaften sind entweder direct oder indirect viel mehr durch die Wirkung der Gewohnheit, die Kraft der Überlegung, Unterricht und Religion usw. fortgeschritten als durch natürliche Zuchtwahl.« 50
    Zu den wichtigsten dieser »moralischen Eigenschaften« gehört die Liebe. Darwin schrieb tatsächlich von »Love« und nicht nur von »Sex«, auch wenn das Wort im Register des Buches fälschlicherweise nur einmal auftaucht. Nach Darwin war die Liebe eine moralische Eigenschaft, die sich bei höheren Tieren vorbereitet und beim Menschen zur Entfaltung kommt. Und während sich die einfachen Lebewesen ihre Sexualpartner ganz ohne Gefühl und nur instinktiv aussuchen, spielt die Liebe beim Menschen eine gewaltige Rolle in der Evolution: »Diese Instincte sind von einer äußerst complicirten Natur und bei den niederen Thieren veranlassen sie besondere Neigungen zu gewissen, bestimmten Handlungen: für uns sind aber die bedeutungsvolleren Elemente die Liebe und die davon verschiedene Erregung der Sympathie.« 51
    Nicht die schlichte biologische sexuelle Präferenz entscheidet demnach über die geschlechtliche Vermehrung des Menschen,
sondern es ist ein Bündel von starken Gefühlen. Sie unterscheiden uns von den niederen Tieren: »durch den Einfluss der Liebe und Eifersucht, durch die Anerkennung des Schönen im Klang, in der Farbe oder der Form und durch Ausübung einer Wahl«. 52 Mit der Liebe kommt damit eine ganz neue Qualität in die Welt. Sie sei der wohl wichtigste Grund dafür, dass der Mensch sich nicht nach der Logik von Rinderzüchtern vermehrt.
    Man hat also allen Grund dazu, Darwin gegen die Darwinisten zu verteidigen. Denn diese – und mit ihnen die evolutionären Psychologen – machten aus »Love« wieder »Sex«: Die besten Männchen erobern die besten Weibchen. Ein Grund für diese Umdeutung ist, dass wir über die Liebe im Pleistozän wie gesagt nichts wissen. Die mutmaßlichen Liebesgefühle von Homo erectus und Homo habilis sind uns verborgen. Wir wissen also auch nicht, ab wann die Liebe überhaupt ein maßgeblicher Faktor bei der Auswahl des Partners wurde. Was allerdings nicht heißen muss, dass da, wo wir nichts sehen können,

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