Liebe
auch nichts war und dass nichts außer dem rein sexuellen Geschmack bei der Entstehung des heutigen Menschen eine Rolle gespielt hat.
Die Folge unseres Nichtwissens liegt in der oft eindimensionalen Überschätzung der biologischen Eigenschaften gegenüber den kulturellen Eigenschaften in der Evolution. Die unbekannte Vielfalt der Gefühle und Ausdrucksweisen unserer Vorfahren versinkt dabei völlig im Nebel. Die evolutionäre Psychologie kennzeichnet sich durch einen solchen Reduktionismus; nicht weil sie so genau Bescheid weiß, sondern gerade aus einem Mangel an Wissen. Aus diesem Grund ist die evolutionäre Psychologie eigentlich auch keine Psychologie. Denn gerade die Psyche unserer Vorfahren und Urahnen kennen wir ja am allerwenigsten! Woher wollen wir ganz genau wissen, was wir mit ihnen teilen oder nicht teilen, wenn wir so wenig über sie wissen? Letztlich sind sie »Konstruktionen«, so etwas wie der moderne Mensch ohne das Moderne, also minus Vernunft, Sprache, Kultur und so weiter. Aber die Gefühle unserer Vorfahren könnten
bereits weit entwickelt und auch viele Vorstellungen sehr fortgeschritten gewesen sein. Und sicher gab es auch individuelle Charaktere mit ganz persönlichen Vorlieben und Schwächen. Kein Primatenforscher, der sich intensiv mit Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans beschäftigt, würde dies für seine Schützlinge abstreiten.
Die Idee, die Liebe aus der Sexualität abzuleiten, ist keine Idee von evolutionären Psychologen. Neben Arthur Schopenhauer war schon Friedrich Nietzsche dieser Ansicht. Sigmund Freud ging sogar so weit, alle Sozialbeziehungen des Menschen aus unseren unbewussten sexuellen Triebkräften zu erklären. Aus all dem zuvor Gesagten jedoch dürfte klar hervorgehen: Liebe ist mehr als eine biologische Funktion, die dort auftritt, wo die Brutpflege ein längerfristiges Miteinander der Geschlechter verlangt. Viele Lebewesen bleiben einander längerfristig verbunden, ohne dass wir, zum Beispiel bei Vögeln oder Seepferdchen, ohne weitere Bedenken von Liebe sprechen würden. Und umgekehrt gibt es zahlreiche Situationen im Leben der Menschen, in der wir von Liebe sprechen, ohne dass es eine längerfristige Bindung von Mann und Frau geben muss, geschweige denn eine gemeinsame Aufzucht von Kindern.
Alle Vorstellungen, die die Liebe gleichwohl aus der Sexualität und der Brutpflege ableiten, greifen demnach zu kurz. Die Liebe ist nicht grundsätzlich »der wichtigste Hinweis auf den Bindungswillen«, wie David Buss meint. Man kann durchaus jemanden lieben, ohne mit ihm zusammen sein zu wollen, zum Beispiel, weil man weiß, dass man trotz aller starken Gefühle nicht zueinander passt. Die gesamte Ideenwelt, die sich aus der angeblich engen Verwandtschaft von Bindung und Liebe speist, ist problematisch. »Ein weiterer Aspekt des Bindungswillens«, schreibt Buss weiter, »ist die Aufwendung von Ressourcen für den geliebten Partner, zum Beispiel in Form eines teuren Geschenks. Handlungen wie diese signalisieren die ernsthafte Absicht, sich langfristig an einen Partner zu binden.« 53 Nein – das
tun sie nicht! Denn es ist beim Menschen nicht so wie etwa bei Laubfröschen oder Buntbarschen, dass bestimmte Signale im Paarungsverhalten immer genau das eine oder andere bedeuten. Reiche Männer machen ihren Sexgespielinnen gerne teure Geschenke ohne Bindungsabsicht. »Befinden sich Frauen in einer Situation, in der sie ihren durch Evolution entstandenen Präferenzen für einen Mann mit Ressourcen nachgehen können, tun sie dies auch.« 54 Soll man diesen Satz kommentieren? Ziehen Frauen immer einen wohlhabenden Partner einem ärmeren vor? In welcher Welt leben US-amerikanische Liebesforscher?
Darwin selbst war in dieser Frage, wie wir gesehen haben, bereits viel weiter. Für ihn ist die Liebe eine Brücke zwischen Sex und Moral, gemauert aus »ästhetischem Empfinden« und »Sympathie«. Statt stets nach dem »fittesten« Partner zu schielen, verlieben sich viele Menschen nicht unbedingt in das fitteste Weibchen oder Männchen. Man kann sogar sagen: Die Liebe steht der Suche nach dem genetisch vermeintlich »optimalen« Partner häufig genug im Weg! Unter dem Gesichtspunkt der genetischen »Optimierung« jedenfalls bringt die Liebe die Menschheit, rein sexuell-biologisch gesehen, nicht voran. Wie konnte sie dennoch möglich werden?
Ist Liebe Eigennutz?
Dieser Abschnitt beginnt mit zwei Geschichten.
Dies ist die erste: »Die Ökonomie der Natur ist von Anfang bis
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