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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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der Eingeschlechtlichkeit durchtrennt wurde?

    Fest steht: Die ungeschlechtliche Fortpflanzung war ein Paradies für egoistische Gene. Wie sie daraus vertrieben werden konnten, wo sie ansonsten doch alles steuern, manipulieren und beeinflussen sollen, ist nicht wirklich geklärt. Für die Fortpflanzung ganz allgemein ist Sex nicht notwendig. Und wie der Sex in die Welt kam, ist ebenso unbekannt wie sein Zweck. Möglicherweise, so steht zu vermuten, gab es gar keinen höheren Sinn dabei. Auch in der Folgezeit bis heute gingen Sexualität und Fortpflanzung bei vielen Lebewesen sehr unterschiedliche Beziehungen miteinander ein. Schnecken pflanzen sich sexuell fort, sind aber Zwitter, Mann und Frau in einem Körper. Bei Schmetterlingsbuntbarschen können die Tiere ihr Geschlecht wechseln und mal männlich, mal weiblich sein. Manche Insekten dagegen haben biologisch zunächst überhaupt kein Geschlecht und richten sich bei der Auswahl später nach den Umweltbedingungen.
    Biologisch betrachtet bedeutet dies: Mann und Frau gibt es nicht, weil man sie sexuell unbedingt braucht. Sie existieren nicht aus dem Grund der Fortpflanzung. Geschlechtsidentität, Sex und Fortpflanzung sind drei verschiedene Dinge, die unterschiedliche Beziehungen zueinander eingehen können. Prinzipiell können Männer Frauen begehren und Frauen Männer; sie müssen aber nicht. Prinzipiell kann Sex der Fortpflanzung dienen; er muss aber nicht. Prinzipiell kann aus dem Verhältnis der Geschlechter Verliebtheit und/oder Liebe entspringen; muss sie aber nicht. Männer können Männer lieben und Frauen auch Frauen. Verliebtheit und Liebe können etwas mit einer Paarbindung zu tun haben oder auch nicht.
    Alle Versuche, Geschlecht, Sex, Fortpflanzung, Verliebtheit und Liebe in eine logische Reihe zu bringen, sind nicht natürlich. Der Philosoph Arthur Schopenhauer, der Urahn aller evolutionären Psychologie, irrte gewaltig, als er 1821 die Kette von hinten aufrollte: »Der Endzweck aller Liebeshändel... ist wirklich wichtiger als alle anderen Zwecke im Menschenleben und daher des tiefen Ernstes, womit jeder ihn verfolgt, völlig wert.
Das nämlich, was dadurch entschieden wird, ist nichts Geringeres als die Zusammensetzung der nächsten Generation. « 47 Doch dass sich der Sex zwingend aus der Differenz der Geschlechter herleitet, dass Sex zwingend der Fortpflanzung dient und dass Liebe aus der »Bindung« der Geschlechter aneinander entsprungen sein soll – dies ist falsch.

Darwin schrieb LOVE
    Charles Darwin, der vermeintliche Urheber der Idee, hatte es geahnt: Es war in der Tat sehr schwierig, die Idee vom »Überleben der Fittesten« auf den Menschen zu übertragen. Denn das Paarungsverhalten und die Partnerwahl bei Bakterien und Menschen waren irgendwie nicht ganz das Gleiche. Die »natürliche Zuchtwahl« folgte einer ganz eigenen Gesetzmäßigkeit bei Tieren, die zweigeschlechtlich waren und sich ihre Sexualpartner in Konkurrenzsituationen aussuchten. Eben darum ersetzte er 1871 in seinem Buch Die Abstammung des Menschen den Begriff der »natürlichen Zuchtwahl« durch die »geschlechtliche Zuchtwahl«.
    Das lange erwartete Werk war ein merkwürdiges Buch. Viele von Darwins Anhängern gefielen sich – und gefallen sich mitunter noch heute – in der Rolle von Provokateuren. Der Meister selbst hingegen hatte ganz andere Absichten: Er wollte versöhnen, anstatt zu spalten. Das neue Buch war bedächtig und unaufgeregt, geradezu nett. »Wie ein guter Onkel stellte er kaum die Toleranz auf die Probe«, schreiben seine Biografen Adrian Desmond und James Moore: »Es erzählte eine Lehnstuhl-Abenteuergeschichte über die Engländer und ihre Entwicklung, wie sie sich mühsam aus dem Affenstadium emporarbeiteten, wie sie darum rangen, die Barbarei zu überwinden, wie sie sich vermehrten und über die ganze Erde ausbreiteten.« 48 Es war eine
schöne und lange viktorianische Erzählung mit Happy End. Am Ende der Evolution erscheint ein moralischer Mensch mit phantastischen Tugenden auf der Bildfläche, und er wird, so prophezeite Darwin aus dem Lehnstuhl heraus, mutmaßlich noch besser werden eines nahen oder fernen Tages.
    Kein Wunder also, dass in Die Abstammung des Menschen ein Begriff auftaucht, der in Darwins früherem Buch Über die Entstehung der Arten völlig gefehlt hatte – die Moral. Wo früher Amoralität geherrscht hatte, hielten nun Sitte, Anstand und sensible Verhaltensweisen Einzug. Vereinfacht gesagt kann man feststellen: Die natürliche

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