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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Gegensatz zu Stockholm, wo wir auch mitten in der Stadt gewohnt hatten, sah man hier auf den Straßen Armut und Elend. Mir gefiel das.
    »Hier ist es«, sagte Linda und blieb an einer Tür stehen. Vor einer Bingo-Halle gleich dahinter standen drei Frauen in den Fünfzigern mit Gänsehaut und rauchten. Lindas Augen suchten die Liste der Namen neben der Türsprechanlage ab, dann tippte sie eine Nummer ein. Zwei Busse donnerten dicht hintereinander vorbei. Unmittelbar danach summte es in der Tür, und wir betraten einen dunklen Eingangsflur, stellten den Wagen an der Wand ab und gingen die zwei Etagen zur Wohnung die Treppe hinauf, ich mit Heidi auf dem Arm, Linda mit Vanja an der Hand. Als wir oben ankamen, stand die Tür offen. Auch die Wohnung dahinter war dunkel. Ich fand es ein bisschen unangenehm, einfach hineinzugehen, und hätte am liebsten geklingelt, was unsere Ankunft deutlicher markiert hätte, denn so standen wir nur im Flur, ohne dass uns jemand bemerkte.
    Ich setzte Heidi auf dem Fußboden ab und nahm ihre Jacke. Linda wollte bei Vanja das Gleiche tun, aber sie protestierte, denn als Erstes wollte sie die Stiefeletten ausziehen, damit sie ihre Goldschuhe anziehen konnte.
    Zu beiden Seiten des Flurs lag jeweils ein Zimmer. In dem
einen spielten aufgeregt ein paar Kinder, in dem anderen standen Erwachsene und unterhielten sich. In dem Flur, der weiter in die Wohnung hineinführte, erblickte ich Erik, der uns den Rücken zukehrte und mit einem der Elternpaare aus dem Kindergarten sprach.
    »Hallo!«, sagte ich.
    Er drehte sich nicht um. Ich legte Heidis Jacke auf einen Mantel über einem Stuhl und begegnete Lindas Blick, die sich nach einer Möglichkeit umsah, Vanjas Jacke aufzuhängen.
    »Und, wollen wir reingehen?«, sagte sie.
    Heidi schlang die Arme um mein Bein. Ich hob sie hoch und machte ein paar Schritte. Erik drehte sich um.
    »Hallo«, sagte er.
    »Hallo«, erwiderte ich.
    »Hallo, Vanja!«, sagte er.
    Vanja drehte sich weg.
    »Magst du Stella dein Geschenk geben?«, fragte ich.
    »Stella, Vanja ist gekommen!«, rief Erik.
    »Das sollst du tun«, sagte Vanja.
    Aus der Gruppe der Kinder stand Stella auf. Sie lächelte.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Stella!«, sagte ich. »Vanja hat ein Geschenk für dich.« Ich sah zu Vanja herab. »Möchtest du es ihr geben?«
    »Du sollst«, sagte sie leise.
    Ich nahm das Geschenk und überreichte es Stella.
    »Das ist von Vanja und Heidi«, erläuterte ich.
    »Danke«, sagte sie und riss das Papier auf. Als sie sah, dass es ein Buch war, legte sie es zu den anderen Geschenken auf einem Tisch und kehrte zu den übrigen Kindern zurück.
    »Und?«, sagte Erik. »Geht’s euch gut?«
    »Ja, klar«, sagte ich und merkte, dass mein Hemd an der Brust klebte. Sah man das womöglich?
    »Eine schöne Wohnung hast du hier«, sagte Linda. »Ist das eine Dreizimmerwohnung?«
    »Ja«, sagte Erik.
    Er sah immer so verschlagen aus, als hätte er etwas gegen die Leute in der Hand, mit denen er sprach, und war schwierig einzuschätzen; sein halbes Lächeln konnte ebenso gut ironisch wie liebenswürdig oder auch unsicher sein. Hätte er einen markanten oder starken Charakter gehabt, hätte mir das möglicherweise Sorgen gemacht, aber er war auf eine vage oder willenlose Art schwach, und was er meinen oder denken mochte, kümmerte mich nicht weiter. Meine Aufmerksamkeit war auf Vanja gerichtet. Sie stand dicht neben Linda und sah zu Boden.
    »Die anderen sitzen in der Küche«, sagte Erik. »Es gibt auch Wein, wenn ihr welchen haben wollt.«
    Heidi war schon in das Zimmer gegangen und stand mit einer hölzernen Schnecke in der Hand vor einem Regal. Sie hatte Räder und eine Schnur, an der man sie hinter sich herziehen konnte.
    Ich nickte den beiden Eltern im hinteren Teil des Flurs zu.
    »Hallo«, sagten sie.
    Wie hieß er noch? Johan? Oder Jacob? Und sie, Mia vielleicht? Nein, verdammt, er hieß Robin.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Wie geht’s?«, sagte er.
    »Gut«, sagte ich. »Und euch?«
    »Uns geht’s gut, danke.«
    Ich lächelte sie an. Sie erwiderten mein Lächeln. Vanja ließ Linda los, ging zögernd in das Zimmer, in dem die Kinder spielten, blieb einen Moment stehen und schaute ihnen zu. Dann schien sie sich entschlossen zu haben, aufs Ganze zu gehen.
    »Ich habe Goldschuhe!«, sagte sie.
    Sie bückte sich, zog einen Schuh aus und hielt ihn für den Fall hoch, dass ihn jemand sehen wollte. Das wollte aber keiner. Als sie das merkte, zog sie ihn wieder

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