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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergio Bambaren
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Lebensjahre geprägt haben. Da saß ich also wieder, meine Beine baumelten über dem aufgewühlten Meer, das sich fünfzig Meter tief unter mir auftat, und ich ritt die Wellen, als ob es kein Morgen gäbe.
    Manchmal ging meine Mutter mit mir an den Strand, wir sprachen stundenlang über das Leben, blickten in herrliche Sonnenuntergänge oder farbenfrohe Sonnenaufgänge. Es tat mir gut, wieder in ihrer Nähe zu sein, denn während meines Aufenthalts in den Vereinigten Staaten habe ich nie aufgehört, an sie zu denken. Wir erinnerten uns an ihren Besuch in Texas und wie glücklich sie war, als sie sah, dass aus ihrem Sohn nun ein »großer Junge« geworden war, wie sie behauptete.
    Aber sie kannte mich zu gut. Sie wusste, dass ich nicht lange bleiben würde. Als Wellenreiter und Nomade mit Leib und Seele hatten mir meine Reisen an paradiesische und auch exotische Orte noch mehr Appetit darauf gemacht, weiterzuziehen und neue Welten, neue Surfstrände zu erkunden. Ich wollte sie mit meinen eigenen Augen sehen, nicht nur im Fernsehen oder auf Fotos von anderen Leuten. Ich wollte die Welt auf eigene Faust entdecken und erleben. Und wer konnte das besser wissen als diese wundervolle Frau, die mich in ihrem weichen Bauch unter dem Herzen getragen und mir beigebracht hat, die einfachen Dinge, die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu schätzen? Der Mensch, der von Anfang an wusste, dass eine Mutter ihr Kind zwar zur Welt bringt, die Träume des Kindes aber unbestimmt in der Zukunft verborgen liegen. Dieser Mensch wusste, dass er mich nur lieben, leiten, lehren, mich aber nie besitzen kann.
     
    Es ist erstaunlich, dass irgendein kleiner, scheinbar unbedeutender Zufall das Schicksal für immer verändern kann.
    Ich lebte wieder in Lima und arbeitete als Vertreter für einen multinationalen Konzern. Mein Chef war einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe, die Zusammenarbeit mit ihm war wunderbar. Ich war glücklich mit meinem Job, das hieß aber nicht, dass ich ihn ewig machen wollte. Meine Lebenspläne waren vielleicht schon lange vor meiner Geburt entworfen worden – ich musste also nur der Stimme meines Herzens folgen. Denn ich spürte, dass bald etwas geschehen würde. Bis es so weit war, verbrachte ich viel Zeit mit meinen Freunden und mit meiner Mutter, ich verliebte mich, surfte mit den Delfinen, und ich bereute es nicht, »zu Hause« zu sein. Ich hatte es nicht eilig.
     
    Es geschah an einem Nachmittag, als ich mein »Schatzkästchen« aufräumte. Dort bewahrte ich kleine Dinge auf, die mein Leben auf irgendeine Weise geprägt haben: Briefe von Silvia, meiner großen und einzigen Jugendliebe, meine ersten Sparbücher, Lieblingsspielzeug aus meiner Kindheit, Fotos von meinen ersten Wellenritten und einige wenige Bücher, die mich beschäftigen, seit ich sie zum ersten Mal gelesen habe, wie Der kleine Prinz und Der Prophet.
    Ich war ganz in meine Erinnerungen versunken, als ich hörte, wie etwas aus Metall auf den Boden fiel. Im ersten Moment erkannte ich es nicht. Erst als ich es aufhob, sah ich, dass es die Brosche war, die Miss Martin mir an meinem ersten Tag im Kindergarten geschenkt hatte, das goldene Känguru. Ich konnte nicht glauben, dass ich es noch immer hatte! Ich nahm einen sauberen Lappen, setzte mich aufs Bett und polierte es. Ich merkte gar nicht, dass die Gedanken in meinem Kopf sich zu überschlagen begannen, je länger ich es berührte und betrachtete.
    Es funkelte mich an. So klein und doch so wertvoll. Ein kleines goldenes Känguru – das Symbol eines fernen Landes namens Australien.
    »Du musst gehen …«, sagte die innere Stimme.
    Und ich machte mich auf den Weg.
    Doch kurz darauf passierte eine Tragödie.

ich will Dir nun einen Rat geben. Es ist – wie ich finde – einer der besten, die ich Dir mit auf den Weg geben kann. Nimm ihn an, wenn Dir danach ist.
    In der Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden, ist der Tod eines geliebten Menschen eine wirkliche Tragödie. In anderen Kulturen, die ich kennengelernt habe, ist das dagegen ganz anders. Dort gilt der Tod als Beginn eines neuen Lebens, als Wiedergeburt in eine bessere Welt, und die Leute feiern, wenn jemand stirbt. Versteh mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen, es wäre nicht tragisch, wenn ein Kind vor seinen Eltern stirbt. Das ist natürlich schrecklich, weil damit gewissermaßen die Gesetze der Welt auf den Kopf gestellt werden. Ich habe erlebt, wie Freunde ihre Geschwister verloren haben, und nach

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