Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
aber es tat gut zu wissen, dass es irgendwo auf der Welt jemanden gibt, der genauso denkt und fühlt wie ich und der seine Lebensreise ähnlich gestaltet.
Wer alt ist, hat viele Jahre gelebt,
Wer sich alt fühlt, hat seine Lebensfreude verloren.
Wer alt ist, wird ein wenig langsamer,
Wer sich alt fühlt, tötet seine Träume.
Wer alt ist, fragt sich: »Lohnt es sich? « ,
Wer sich alt fühlt, sagt Nein, ohne darüber nachzudenken.
Wer alt ist, träumt im Wachen,
Wer sich alt fühlt, kann nachts schlecht schlafen.
Wer alt ist, hat noch immer viel zu lernen und zu entdecken,
Wer sich alt fühlt, lernt und lehrt nichts mehr.
Wer alt ist, hält Körper und Geist fit und hat noch Träume,
Wer sich alt fühlt, sitzt tagelang vor dem Fernseher.
Wer alt ist, hat eine Zukunft,
Wer sich alt fühlt, hat keine Pläne mehr und erinnert sich nur noch an die »gute, alte Zeit « .
Wer alt ist, probiert jeden Tag etwas Neues aus, erfindet sich täglich neu und bleibt neugierig,
Wer sich alt fühlt, erwartet nur noch das Ende und verschanzt sich in seinem Kokon.
Alt sein hat also nichts mit dem Alter an sich zu tun, es ist eine Lebenseinstellung. Doch selbst ein Jugendlicher kann sich schon alt fühlen, wenn er das Leben nicht genießt, wenn er keine Träume mehr hat, wenn er seine Neugier gegen Sicherheit und Bequemlichkeit eintauscht.
Denk über diese Worte nach, die ein großes Kind an ein kleines Kind weitergibt, das gerade erst angefangen hat, seine eigenen Schritte auf seiner Reise durchs Leben zu unternehmen. Ob Du älter wirst oder reifer, ist Deine Entscheidung, Daniel.
Mir hat das als Kind niemand gesagt, darum bin ich so froh, dass ich Dir dieses Gedicht schenken kann, auch wenn Du es noch nicht lesen kannst. Aber das wirst Du bald lernen.
Ich hoffe, es hilft Dir.
XI
Australien ist eines der wenigen Länder, die vor Ort noch viel beeindruckender sind als auf Fotos und Postkarten. Die Farben dort sind unglaublich intensiv. Das Land ist fast so groß wie die USA, aber es leben dort weniger als zwanzig Millionen Menschen, dafür Abermillionen Papageien, alle möglichen Känguru-, Waschbären- und Opossumarten, es gibt ausgedehnte Eukalyptus- und Regenwälder: ein Paradies für Naturfreunde und Menschen, die friedlich leben wollen. Australien ist eine frische Brise für unsere Sinne. Das Leben pulsiert – alles ist möglich, alles wird gut. Es ist ein ehrliches Land, die Einwohner stammen hauptsächlich von irischen, schottischen und englischen Vorfahren ab, aber auch Einwanderer aus allen möglichen anderen Ländern sind ihrem Traum dorthin gefolgt.
Doch am meisten faszinierte mich das Meer. Das tiefe Blau der Tasmanischen See oder das klare, türkisblaue Wasser mit seinen farbenprächtigen Korallenriffen. Man konnte tagelang auf einer kleinen Insel oder am Strand kampieren, nur umgeben von Sternen und Beutelratten.
In meinen Augen ist die Bezeichnung »Glückliches Land« noch untertrieben für dieses Stück vom Paradies, das Gott in die Welt gesetzt hat und dessen Bewohner schon früh gelernt haben, die Natur zu schützen und in ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren.
Damals wusste ich noch nicht, dass ich im Begriff war, einen der größten, wenn nicht überhaupt den größten Fehler meines Lebens zu begehen. Einen Fehler, der mich zurückwarf in den Schatten eines sinnlosen, ziellosen Daseins und der mich fast mein Leben gekostet hätte. Ich meine damit, dass ich fast vergaß, wer ich bin, und mich in meinen Kokon zurückzog.
Ich fand eine Stelle als Vertreter einer Firma, die Stahlwerke baute. Das war phantastisch. Ich konnte viel von zu Hause aus erledigen und meinen Tag nach der Brandung einteilen, die von den starken Westwinden aus der Region ‚‚Roaring Forties« verursacht wird und direkt aus den Tiefdruckgebieten kommt, die sich über dem Südpazifik bilden und langsam an die Ostküste Australiens ziehen. Ich konnte bei meiner Arbeit kommen und gehen, wann ich wollte, und jederzeit, auch an Wochentagen, surfen gehen, wenn es Wellen gab. Und wenn umgekehrt am Wochenende die Wellen ausblieben, arbeitete ich. Ein idealer Job für jemanden wie mich, der sich nie an einen Arbeitstag von acht Uhr morgens bis fünf Uhr abends gewöhnen konnte. In meinem Urlaub fuhr ich auf die Fidschi-Inseln, nach Neukaledonien oder Indonesien, zum Beispiel auf die Mentawai-Inseln, wo ich ganz wunderbare Wellen ritt.
Irgendwann rief mich die Firmenleitung aus Großbritannien an und bat mich zu
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