Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

an einem wärmeren Ort – Tag und Nacht liegen die Temperaturen bei vierzig Grad Celsius. Es gibt Korallenriffe in kristallklarem Wasser, hohe bewaldete Berge, und das Leben der Menschen folgt dort einem sehr gemächlichen Rhythmus. Ich besuchte auch Bora Bora, eine Insel wie aus dem Bilderbuch, ein echtes Juwel. Ich schwamm mit den Delfinen in der Lagune und hätte nicht glücklicher sein können. Zudem erlebte ich Sonnenuntergänge, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, ich surfte an Stränden mit tiefschwarzem Lavasand und merkte, dass ich bei der Beobachtung der Natur und ihrer Rhythmen das wahre Wesen unserer Mutter Erde erfasste. Aber am allerwichtigsten war, dass ich die Welt mit eigenen Augen sah.
    Und ohne es zu merken, machte ich auch eine innere Reise, eine Reise ins Ich, bei der ich herausfand, wer ich bin, was ich will und was der Sinn meines Lebens ist.
     
    Nach einer Woche auf Tahiti flog ich weiter nach Auckland.
    Wieder war ich in einem völlig anderen Kulturkreis gelandet, der weitgehend von den einheimischen Maori und britischen Siedlern geprägt ist – zwei wunderbare Kulturen, die miteinander verschmolzen sind und den friedlichsten Staat auf Erden geschaffen haben.
    Ich blieb ein paar Tage in Neuseeland und ritt auf den eiskalten Wellen vor der Nordinsel. Es ist das einzige Land der Welt, wo man in glasklarem Wasser surfen und gleichzeitig schneebedeckte Gipfel sehen kann. Neuseeland gilt außerdem als der beste Ort, um eine Familie zu gründen. Es gibt so gut wie keine Kriminalität, und das Leben fließt friedvoll mit den Jahreszeiten dahin. Ein Paradies für kleine und große Kinder! Ich bereiste auch die Südinsel und schwamm vor der kleinen Stadt Kaikoura mit Tausenden Delfinen. Ich zeltete im Regenwald, meditierte und lernte von der Natur.
    Unnötig zu sagen, dass ich allein war – in Gesellschaft meines besten Freundes: mir selbst. Mir wurde bewusst, dass man einen großen Schritt hin zu einem Leben in Ruhe und Frieden vollbracht hat, wenn man sich selbst genügt und dabei nicht einsam ist. Vertraut man auf sein Gespür und auf das Leben als solches, kann man eines Tages nicht nur glücklich sein, wenn man von den Dingen umgeben ist, die einem am Herzen liegen, sondern auch wenn es hart auf hart kommen sollte … Alles ist nur eine Frage unserer inneren Haltung.
     
    Nach meiner Zeit im »Land der langen weißen Wolke«, wie die Maori Neuseeland nennen, bestieg ich das Flugzeug, das mich an das letzte Ziel dieser Reise bringen sollte: Australien.
    Ich packte meine Sachen, warf einen letzten Blick auf die verschneiten Berge Neuseelands, seinen Regenwald und seine wundervollen Menschen.
    Ich fühlte mich so lebendig …

niemand hat das Recht, über andere zu urteilen, über Dich selbst darfst nur Du urteilen.
    Du wirst irgendwann herausfinden, dass wir oft von denen verletzt werden, denen selbst Unrecht widerfahren ist. Manchmal wollen Eltern, dass ihre Kinder das erreichen, was sie selbst nicht geschafft haben. Oder vielleicht stammen die Eltern aus einer Familie mit Zucht und Ordnung und wollen, dass ihre Kinder genauso leben; das ist ganz menschlich, es ist nicht ihr Fehler, zumindest nicht ganz.
    Viele Menschen haben in ihrem Leben traumatische Erfahrungen gemacht – Kriege, Missbrauch oder Ausgrenzung als Kind; all das hat ihr Leben geprägt. Leider übertragen sie ihre Erfahrungen manchmal auf ihre Kinder, und dann nimmt das Unglück seinen Lauf.
    Deine Mutter und ich haben Dir bei Deiner Geburt versprochen, dass Du der Mensch sein kannst, der Du sein willst. Niemand ist als Vater oder als Mutter geboren, man lernt erst zusammen mit den Kindern, sich richtig zu verhalten. Also verzeih uns die Fehler, die wir vielleicht bei Dir machen. Wir sind halt nur Menschen – zwar ein wenig älter als Du, aber im Grunde sind wir alle gleich.
    Neulich hat mir ein Freund ein schönes Gedicht geschickt, das ich mit Dir teilen möchte. Es hat mir klargemacht, dass wir alle unser eigenes Leben leben und dass wir andere ihren Weg gehen lassen müssen. Niemand, kein Mensch, kennt die ganze Wahrheit. Ich bitte Dich noch mal: Verzeih mir meine Fehler, denn ich werde unweigerlich welche machen, auch wenn ich hoffe, dass es nicht allzu viele werden!
    Ich wünsche mir auch, dass dieses Gedicht Dir zeigen kann, wieso ich so lebe, wie ich lebe. Als ich es das erste Mal las, hatte ich das Gefühl, als würde es von mir sprechen, es hat mich getröstet. Ich weiß zwar nicht, wer es geschrieben hat,