Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Menschen verlässt, stirbt man ein bisschen.
Wenn wir älter werden, gelangen wir irgendwann (frag mich nicht, wann oder warum) zu der Überzeug, es wäre für unser Leben besser, das eine oder andere für später aufzusparen: wenn wir in Rente sind oder wenn wir einen Job haben, wenn wir verheiratet sind oder wenn wir ein Kind haben – vielleicht auch zwei …
Doch dann sind wir verdrossen, weil die Kinder noch so klein sind und unser Leben bestimmen, und wir denken, wir wären glücklicher, wenn sie groß sind. Sind die Kinder dann groß, beklagen wir uns darüber, wie kompliziert alles geworden ist. Sie haben ihren eigenen Kopf und machen uns manchmal das Leben zur Hölle. Sie begehren gegen uns auf, und es wird immer schwieriger, mit ihnen umzugehen und mit ihnen zu reden. Dann sagen wir uns: ‚‚Wenn sie aus diesem Alter heraus sind, wird alles besser …«
Wir glauben auch, wir wären besser dran, wenn wir, oder der Ehepartner, mehr Geld verdienten, wenn wir die Mittel hätten, einen größeren Wagen zu kaufen, wenn wir in die Ferien fahren könnten, wenn wir eine bessere Stelle in unserer Firma bekämen, wenn wir endlich die überflüssigen Pfunde los wären oder in den Ruhestand gehen könnten.
Ich aber finde, Daniel: Es gibt keine Zeit, um glücklicher zu sein, als das Hier und Jetzt.
Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Das Leben ist immer voller Herausforderungen, ständig gäbe es einen Grund zu sagen: »Na gut, das machen wir später.« Ich glaube, man sollte sich lieber bewusst werden, dass das Glück genau in diesem Moment liegt.
Darum lebe den Augenblick, als ob es kein Morgen
gäbe – ja, noch nicht mal einen Weg zum Glück. Glück widerfährt uns in der Gegenwart. Sie ist wertvoll, gehe gut mit ihr um. Und denk dran: Die Zeit wartet auf niemanden.
Zögere also mit dem, was Du tun willst, nicht, bis Du in Rente gehst, bis Du Dich verliebt hast, bis Du verheiratet bist – wenn Du das denn willst –, bis Du eine gute Arbeit gefunden oder Kinder hast. Deine Kinder werden irgendwann das Haus verlassen, und vielleicht wirst Du Dich eines Tages scheiden lassen. Warte nicht auf irgendeinen Freitagabend, einen Sonntagmorgen, auf Frühling, Sommer, Herbst oder Winter. Vor allem, Daniel, warte nicht, bis es zu spät ist und Du feststellen musst, dass kein besserer Moment kommen wird, um glücklich zu sein!
Das Glück liegt auf Deinem Weg und in der Erfüllung Deiner Träume.
Vor langer Zeit habe ich irgendwo gelesen:
Arbeite, als würdest du das Geld nicht brauchen,
Liebe, als hätte dich noch nie jemand verletzt,
Tanze, als würde dir niemand zusehen,
Lebe, als wäre es der Himmel auf Erden.
Das ist das Leben!
VIII
Beim Studium im Ausland habe ich viele wunderbare Dinge fürs Leben gelernt.
An der Texas A & M University leben Studenten aus allen Teilen der Welt. Ursprünglich hatte man sie als Militäruniversität für Weiße gegründet, später aber wurden auch Afroamerikaner und Frauen zugelassen, und inzwischen ist sie eine kosmopolitische Hochschule.
Ich schloss Freundschaften mit Kommilitonen aus der ganzen Welt, aus Asien, Israel und dem Nahen Osten, aus Afrika, Europa, Kanada und natürlich auch aus Lateinamerika und den Vereinigten Staaten. Wenn man aufgeschlossen ist, kann man überall Freunde finden.
Anfangs wohnte ich im Studentenwohnheim auf dem Campus. Das war billiger. Meine Zimmergenossen kamen aus Spanien und den USA, einige waren Moslems. Mir wurde bewusst, dass alle Menschen gleich sind, auch wenn sie in verschiedenen Ländern geboren wurden und unterschiedliche Traditionen und Religionen haben. Ich stellte auch fest, dass wir eben wegen unserer Traditionen und Glaubensrichtungen unterschiedliche Auffassungen haben. Ansonsten sind wir gleich – dennoch ist jeder Mensch ein einzigartiges Wesen. Wir könnten in wesentlich größerer Harmonie leben, wenn wir uns vor Augen hielten, dass alle Menschen rotes Blut in den Adern haben, unabhängig vom Geburtsland, von der Hautfarbe oder Religion.
Irgendwann wollte ich vom Campus wegziehen. Ich jobbte erst in der Mensa, dann als Anstreicher, später markierte ich Fußballfelder in eisiger Kälte mit weißer Kreide. Doch die harte Arbeit zahlte sich am Ende aus. Nachdem ich etwas Geld auf die Seite gelegt und gleichzeitig auch ein Stipendium bekommen hatte, konnte ich wundervolle Strände bereisen und Wellen reiten. Und ich konnte mir zusammen mit drei Surfern aus Brasilien ein Häuschen mieten. Ich flog nur an
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