Lieber Dylan
schlecht gelaunt war. Jamie Phelps war nicht gekommen. Ich glaube, Jessica kam überhaupt nur zu diesem Workshop, weil sie hoffte, er würde da sein. Obwohl sie sagt, wenn sie kein Supermodel werden kann, wird sie eben Schauspielerin. Als Nächstes hat uns Debbie etwas übers Theater erklärt und dass sie will, dass wir alle in den nächsten drei Wochen jede Menge Spaß haben und dass uns Bugsy Malone bestimmt gefallen wird. Und dass wir zwar viel arbeiten müssen, aber dass es das alles wert gewesen sein wird, wenn wir am letzten Abend das Stück für unsere Eltern auf die Bühne bringen. Ich gebe mir Mühe, an diesen Teil nicht zu denken. Wie soll ich denn meine Mum und den Ton-Zerstörer zu der Vorstellung einladen, obwohl sie mir beide gesagt haben, dass ich nicht zu dem Workshop gehen darf?
Als Nächstes mussten wir der Reihe nach verschiedene Emotionen darstellen, und die anderen mussten raten, was für Gefühle wir spielten. Ich versuchte, aufgeregt zu wirken, was aber wirklich nicht geklappt hat, denn die meisten Leute riefen: »Schockiert!«, und Dred brüllte: »Du hast einen Anfall!« – der blöde Schlangster. (Das ist übrigens mein Ausdruck für Jungs wie ihn – Jungs, die glauben, sie wären echt hart drauf, und die sich wie Gangster anziehen, in Wirklichkeit aber nur total schlampig aussehen, während sie der ganzen Welt ihre Unterhosen zeigen.) Bei Jessica, die gelangweilt spielte, haben alle richtig geraten, denn sie machte es total realistisch! Aber dann, kurz vor der Mittagspause, tauchte endlich Jamie Phelps auf, und Jessica war ein anderer Mensch. Ist es nicht komisch, wie manche Leute wie menschliche Zusatzstoffe wirken? Als Jamie hereinkam, war es, als würde der ganze Raum plötzlich hell, und in alle kam auf einmal viel mehr Leben. Es war nicht nur bei Jessica und den anderen Mädchen so, sondern auch bei den meisten Jungs. Unddabei war es nicht mal so, dass er irgendetwas gemacht hat. Ich glaube, es ist einfach seine Art. Er hat dieses ganz dichte dunkle Haar, das er sich nach vorn bis über seine Wangenknochen kämmt, und dazu diese großen dunkelbraunen Augen, die immer von irgendetwas zu träumen scheinen – von irgendetwas, das viel schöner ist. Und er geht auch anders als alle anderen, mit den Händen in den Taschen und dem Kopf irgendwie so zur Seite geneigt. Vielleicht lieben ihn deshalb alle so sehr, weil sie herausfinden wollen, was sein Geheimnis ist, und weil sie alle ein Teil davon sein wollen. Sogar Debbie schien zu kichern und herumzuhüpfen, nachdem er gekommen war, und sie war nicht mal böse darüber, dass er anderthalb Stunden zu spät war.
In der Mittagspause durften die anderen Teilnehmer nach draußen gehen und auf dem Gras beim Ententeich herumhängen, aber Debbie sagte, Michaela und ich müssten in der Halle bleiben, weil Michaela noch zu klein war. Es hat mir aber echt nichts ausgemacht, ich war einfach nur froh, dabei zu sein. Dann, am Nachmittag, ließ uns Debbie der Reihe nach ein Lied unserer Wahl singen. Jessica war natürlich super. Sie hat jeden Donnerstagabend Gesangunterricht, denn wenn sie es als Supermodel oder als Schauspielerin nicht schafft, will sie Popstar werden. Und Jamie war fantastisch, er hat eine echte Rock-Star-Stimme, und er hat einen Song gesungen, den er selbst geschrieben hat, darüber, dass er in einem Gefängnis gefangen ist, »wo die Luft so kalt wie Eis ist und Furcht mein Herz packt wie eine Sünde, Sünde, Sünde.« Jessica sagt, er ist mit ein paar seiner Kumpels schon in einer Band und er ist ihr Lead Singer und Gitarrist. Ich bin sicher, Debbie gibt den beiden die Hauptrollen, sie waren bis jetzt definitiv die besten Sänger. Jessica sagt, wenn sie die Blousey spielen darf und Jamie den Bugsy, dann wird sie in ihrem ganzen Leben Gott nie wieder um etwas bitten.
Ich war als Letzte mit Singen dran, und irgendwie hoffte ich, ich würde es gar nicht mehr machen müssen, denn es war wirklich schon fast Zeit, nach Hause zu gehen. Eine Menge anderer Leute fingan, sich zu langweilen, was mich ein bisschen gestört hat, denn sie unterhielten sich und alberten herum, und als ich das erste Mal versuchte zu singen, kam meine Stimme als Quieken heraus. Dann schrie Debbie Dred und seine Freunde an, sie sollten aufhören herumzublödeln, alle sollten leise sein und mir ein bisschen Respekt zeigen. Aber das hat es nur noch schlimmer gemacht, denn da stand ich nun total alleine auf der Bühne, jeder starrte mich an, und es war SO
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