Lieber Dylan

peinlich. Ich verspürte wirklich auch den Drang zu kichern   – nicht weil es komisch war, denn das war es ÜBERHAUPT NICHT   –, aber weil ich es echt nicht machen wollte. Und das Schlimmste war, dass der Song, den ich ausgesucht hatte, Wonderful Tonight war, der, den mein Vater an dem Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten, für meine Mutter gesungen hat, und das ist ein echt langsames Liebeslied und kein bisschen komisch. Also machte ich, was ich immer mache, wenn ich versuche, nicht zu lachen, ich dachte an meinen Vater. Aber statt ihn zu sehen, wie er auf der Straße lag und starb und so weiter, sah ich ihn dieses Mal hinter dem Vorhang neben der Bühne stehen. Und er lächelte mich liebevoll an, wie er es immer tat. Dann sah ich, wie er die Lippen bewegte, und ich bin sicher, dass ich ihn flüstern hörte: »Na los, Georgie, du schaffst das!« Ich schloss also die Augen und sang, als würde ich nur für ihn singen. Ich ließ meine Augen geschlossen, bis ich das Ende des Songs erreicht hatte, und als ich sie öffnete, sah ich sie alle dort in völliger Stille sitzen, und Debbie schniefte und rieb sich die Augen. Also sagte ich: »Ähhh, ich bin fertig«, und sie sagte: »Ja, ich weiß, danke, das war sehr schön.« Und dann fingen alle an, richtig laut zu klatschen, und einer (ich glaube, es war Jamie) stieß einen total lauten Pfiff und einen Jubelruf aus!!! Oh Nan, es war so unglaublich! Hinterher kamen ganz viele von den anderen zu mir und sagten, wie toll ich gesungen habe, und sogar Dred, der Schlangster, nickte mir zu, als wir gingen. War es so für dich, wenn du auf der Bühne gestanden hast? Ich habe wieder nach dir gegoogelt (also vergiss nicht, es deinem Freund Ricardo zu erzählen!), und ich habe gesehen, dass du einen Preis gewonnen hast, als du Lady Macbeth gespielt hast, also musst du doch tonnenweise Applaus bekommen haben. Manfühlt sich dabei so unglaublich, stimmt’s? So als ob man alles tun oder sein könnte.
    Ich hoffe, dein Essen am Sonntag war okay. Vielleicht könntest du deinen Freunden ja vorschlagen, das nächste Mal etwas anderes zu machen? Etwas, das du mit deinem Mann nie gemacht hast, zum Beispiel Bowling oder ins Kino gehen. Dann tut es vielleicht nicht so weh.
    Oh nein   – die Computerzeit ist fast vorbei. Ich erzähle dir morgen, wie das Vorsprechen gelaufen ist. Ich hoffe, ich muss nicht wieder kichern oder quieken ;)
    Das Symbol soll übrigens ein Smiley sein, der einem zuzwinkert   – man muss sich allerdings den Hals verrenken, um es zu erkennen!!!
    Alles Liebe, deine Mailfreundin,
    Georgie xxx

    PS: Meinst du, es ist okay, wenn ich Speiseöl für meine Haare benutze? Wir haben kein Olivenöl. Als ich den Ton-Zerstörer gefragt habe, ob wir welches besorgen können, hat er gesagt, Olivenöl ist für schmierige Itacker   – was immer das heißen soll!

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Re: Der beste Tag aller Zeiten   – Teil Zwei
    Datum: Montag, 31. Juli, 18:42

    Liebe Georgie,
    ich war gerade online und habe mich über Botox-Injektionen informiert (man nimmt ja wirklich etwas auf sich, wenn man in Erwägungzieht, sich die Stirn lähmen zu lassen, um jünger auszusehen), als deine Nachricht mit einem Ping in meiner Inbox landete. Wie wunderbar aufregend!!! Der Himmel scheint dir wirklich zuzulächeln, und ich bin so froh darüber, Liebling, denn das ist nicht mehr, als du verdient hast. Und was für eine schöne Idee, an deinen Vater und Bruce zu denken, wie sie da oben zusammensitzen und auf uns beide hinunterlächeln. Ich denke, ich werde fortan auch daran glauben. Und ich bin sicher, die beiden verstehen sich bombig!
    ;) ;)
    – das sind Bruce und dein Vater, wie sie grinsen und uns zuzwinkern!
    Dein Gesang hat also deine Lehrerin zu Tränen gerührt? Etwas lässt mich glauben, dass du diesmal nicht nur als Chormitglied oder einer der Bestattungsunternehmer ausgewählt wirst, Liebling. Ach, es ist alles so aufregend, und ich kann es kaum erwarten, zu hören, wie es für dich weitergeht. Ich antworte, so schnell ich kann, nur für den Fall, dass du noch online bist, denn ich wollte dir einen Rat geben. Als jemand, der mehr als nur ein paar Castings mitgemacht hat, gebe ich dir meinen Spitzen-Tipp: Geh schon vorher »in die Stimmung hinein«. Für Sportler ist das ähnlich, wenn sie sich auf eine Veranstaltung vorbereiten   – sie konzentrieren sich ganz und gar auf den Sieg und denken sonst an nichts anderes. Wenn du auf