Lieber Dylan
gekauft und in Versammlungsräume, Büros und so weiter umgewandelt. Aber es sieht immer noch total schön aus, mit Eichenbalken an den Decken und einem Ententeich im Hof und dieser total urigen Teestube, die Cow Pat oder Cow Byre oder so ähnlich heißt. Sie liegt neben dem Gebäude, das früher einmal das Bauernhaus war.
Na, wie auch immer, der Theater-Workshop findet jedenfalls in der Scheune links vom Ententeich statt (wenn man von der Straße darauf zukommt. Wenn man vom Parkplatz kommt, ist es links). Ich war schrecklich nervös, weil ich doch Angst hatte, dass der Ton-Zerstörer uns gefolgt war und das alles. Und als ich dann wirklich in die Scheune hineingegangen bin, wurde es noch schlimmer, denn alle anderen Jugendlichen waren schon da, und keiner von ihnen hatte seine kleine Schwester dabei, also starrten sie mich alle an. Es war echt peinlich, und ich konnte spüren, wie meine Wangen brannten und brannten. Aber dann kam Debbie, die Workshop-Lehrerin, zu mir herüber, und sie lächelte und war echt freundlich, überhaupt nicht wie die Lehrer an der Ruislip Gardens High, und sie hat mich nach meinem Namen gefragt. Und dann kam Jessica zu uns, hat auf Michaela gezeigt und mit total lauter Stimme gefragt: »George, warum hast du denn die mitgebracht? Du weißt doch, es ist nur für Zwölf- bis Sechzehnjährige.« Ich konnte Debbie nicht mal ansehen, so peinlich war es mir. Ich starrte einfach auf den Boden und murmelte: »Ich heiße Georgie«, aber das »ie« sagte ich richtig laut. Und dann ließ Debbie glücklicherweise alle anderen ein paar Dehn- und Streckübungen machen, ehe sie wieder zu mir kam. Ich erklärte ihr, dass ich auf Michaela aufpassen musste, weil meine Mutter arbeiten war, dass Michaela aber ein wirklich liebes Kind ist und keine Probleme machen würde und dass ich jede Menge Spielsachen mitgebracht hatte, mit denen sie spielen konnte. Debbiestand einen Moment lang einfach nur so da, runzelte die Stirn und dachte darüber nach, und plötzlich sagte Michaela: »Du siehst genau wie eine Prinzessin aus.« Und dann fing Debbie an zu lachen und sagte: »Also, in Ordnung, warum eigentlich nicht?« Manchmal liebe ich Michaela einfach.
So, nachdem Debbie sich meinen Namen, mein Alter, die Schule, auf die ich gehe, und das ganze Zeug aufgeschrieben hatte, richteten wir vorn bei der Bühne einen kleinen Platz zum Spielen für Michaela ein und machten dann jede Menge Schauspielübungen. Ich habe ja nie gewusst, dass Schauspielern solchen Spaß macht! Zuerst haben wir ein Spiel gespielt, bei dem wir alle in der Halle herumgehen mussten, und Debbie rief uns zu: »Jetzt sind wir alle mal ein …«, und dann nannte sie verschiedene Dinge, zum Beispiel »ein Elefant!« oder »ein Baum« oder »eine Ballerina«, und wir mussten weitergehen und dabei so tun, als wären wir das. (Michaela fand dieses Spiel ECHT toll!) Danach ließ Debbie uns die Anweisungen geben. Ich rief: »Wir sind jetzt alle mal Leute, die gerade gehört haben, dass sie im Lotto gewonnen haben.« (Das spiele ich oft, wenn ich zu Hause bin LOL!) Jessica rief: »Jetzt sind wir alle mal Supermodels« – die Jungs haben es gehasst. Dann rief dieser total wild aussehende Junge namens Dread (Drohung), was er aber Dred schreibt (ich wette, das ist nicht sein richtiger Name): »Jetzt sind wir alle besoffen.« Alle anderen fanden das zum Schreien komisch, nur ich nicht. Ich mag keine Besoffenen. Ich finde, sie sind traurig, nicht komisch. Aber natürlich habe ich nichts gesagt, und sowieso hat Debbie gleich danach eine andere Übung angekündigt. Dieses Mal mussten wir alle Paare bilden, und einer von uns musste so tun, als wäre er das Spiegelbild des anderen. Ich musste Jessicas Spiegelbild sein, und das war echt schwierig, weil sie total schlechte Laune hatte. »Warum musstest du denn Michaela mitbringen?«, zischte sie mir zu, während sie so tat, als würde sie sich die Haare kämmen. Ich tat so, als würde ich meine eigenen Haare kämmen (obwohl meine nicht im Entferntesten so lang, so blond oder so hübsch sind wie ihre). »Mir blieb nichts anderes übrig«, zischte ichzurück. »Meine Mutter und Tony arbeiten.« Jessica stieß einen langen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Dann sagte sie: »Wieso siehst du denn so elend aus?« Ich hatte nicht den Mut, ihr zu sagen, dass ich doch versuchte, ihr Spiegelbild zu sein! Aber dann, als wir alle zusammengerufen wurden und uns im Kreis hinsetzen sollten, wurde mir klar, warum sie so
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