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Lieber Dylan

Lieber Dylan

Titel: Lieber Dylan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Curham
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seinen Knien reiten, und immer kauft er ihr Geschenke. Aber ich denke, ich hatte trotzdem mehr Glück als Michaela, denn als ich vier war, war meine Mutter wenigstens in den Ferien und nach der Schule zu Hause. Und damals war sie auch viel fröhlicher. Sie ist nie krank geworden und ist immer in der Wohnung herumgetanzt, hat gesungen und sich Spiele ausgedacht. Ich habe ihre Spiele geliebt. Damals konnte sie einfach alles in einen Spaß verwandeln. Sogar den Gang zum Zahnarzt   – den ich übrigens hasse. Angelica wusste, dass ich wirklich Angst davor hatte, also tat sie so, als ob wir Spioninnen wären und Informationen über all die Leute im Wartezimmer zusammentragen müssten. Es war echt cool. Damals hatte ich so gut wie überhaupt keine Angst. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mir zu überlegen, warum die alte Dame, die mir gegenübersaß, einen Schal strickte. War sie in Wahrheit dabei, eine tödliche Waffe zu stricken, mit der man jemanden erdrosseln konnte? Und warum hatte der Mann, der neben mir saß, eine Aktentasche auf dem Schoß? War er im Begriff, eine streng geheime Information an einen anderen Geheimagenten weiterzugeben? Als ich schließlich aufgerufen wurde, war ich so darin versunken, Geheimnisse aufzuklären, dass mir der Bohrer und dieses schreckliche Kratzding nicht mehr viel ausmachten. Manchmal versuche ich, Mums alte Spiele mit Michaela zu spielen, aber es ist nie dasselbe. Es ist ein bisschen wie Orangensirup. Mums Spiele waren wie der Sirup, wenn er noch kräftig und leuchtend in der Flasche ist, aber wenn ich sie spiele, ist es, als wären sie verdünnt worden. Nebenbei   – war das eine gute Metapher? Die Benutzung von Metaphern ist eins von meinen Lernzielen in Englisch.
    Danke, dass Sie   – ach nein, dass du so nette Sachen über meine Fantasie geschrieben hast. Deine Kaleidoskop-Metapher hat mir gefallen. Wenn meine Fantasie ein Kaleidoskop voller Farben ist, dann war die Fantasie von meiner Mum ein Feuerwerk, so hell und aufregend war sie. Aber so ist es nicht mehr. Jetzt ist es, als wären all die Feuerwerkskörper nass geworden, und es ist unmöglich, auch nur einen Funken aus ihnen herauszubekommen. Als wäre der Ton-Zerstörer gekommen und hätte einen großen, alten Eimer Wasser über ihnen ausgeleert. Du siehst also, es hätte keinen Sinn gehabt, mich heute Morgen mit ihr zu streiten, ich hätte sie nur noch deprimierter gemacht. Oh nein   – ich sehe Michaela kommen   –, warte mal, ich gebe ihr nur schnell ein paar Gummibärchen.
    Okay, jetzt muss ich mich aber wirklich beeilen, die Uhr am Computer sagt mir, dass ich nur noch zehn Minuten übrig habe. Ich verstehe das nicht   – ich tippe so schnell, wie ich kann, aber ich habe noch fast gar nichts geschafft. Na, wie auch immer, meine Mum ging jedenfalls gerade weg, als der Ton-Zerstörer zurückkam. Ich hasse es, wenn ich höre, wie sein klapperndes Taxi draußen vorfährt, mein Magen macht dann immer etwas total Merkwürdiges, er fühlt sich an, als würde er wie ein Pfannkuchen auf die andere Seite geworfen, und mein Mund fühlt sich so trocken an wie Sandpapier. Als er heute Morgen reinkam, hat er gemacht, was er immer macht. Er hat Michaela total fest in die Arme genommen und »Hallo, Prinzessin« gesagt und sie auf den Kopf geküsst, aber mir hat er nur zugenicktund gesagt: »Mach mir eine Tasse Tee«, obwohl ich die ganze Woche lang nett zu ihm gewesen bin und versucht habe zu verstehen, warum er so ist, wie er ist, wie du es mir geraten hast. Ich habe ihm also seinen Tee geholt und auch ein paar Scheiben Toast, obwohl er mich darum gar nicht gebeten hat, und sobald er nach oben in sein Schlafzimmer ging, habe ich ihm hinterhergerufen und gefragt, ob ich mit Michaela den Tag über zu Jessica gehen dürfe. Mein Herz schlug so schnell, während ich auf seine Antwort wartete, ich habe echt Angst gehabt, es könnte platzen. Und als er dann endlich »Ja, okay« sagte, bin ich vor Schreck fast gestorben. Ich konnte nicht fassen, wie leicht das alles gegangen war. Trotzdem konnte ich mich nicht entspannen, bis wir im Gemeindezentrum ankamen. Immer wieder musste ich denken: Was ist, wenn es eine Falle ist und der Ton-Zerstörer uns gefolgt ist? Oder was ist, wenn sie Michaela nicht erlauben zu bleiben? Oder wenn Michaela mich verpetzt? Aber trotz alledem war da ein Teil von mir, der sich echt überhaupt nicht mehr darum kümmerte. Ich habe es so satt, traurig zu sein. Und darauf zu warten, dass andere Leute

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