wollte, was passiert ist. Wie hat sie mich die ganzen Jahre über anlügen und mir erzählen können, er wäre bei einem tragischen Unfall gestorben, wo es doch von vorn bis hinten seine eigene Schuld war? Wo er doch von vorn bis hinten …
Aber vielleicht hat sie ja gar nicht gelogen. Vielleicht hatte sie einfach zu viel Angst vor dem Ton-Zerstörer, um seinen Lügen zu widersprechen? Ich weiß nicht, was ich denken soll, und ich spiele mir die Erinnerungen, die ich an meinen Vater habe, im Kopf immer wieder vor und suche nach etwas, irgendetwas, das mir die Wahrheit verrät. Aber ich kann nichts finden. Alles, was ich noch weiß, sind verschwommene kurze Augenblicke, als würde ich ihn durch einen Vorhang sehen. Sein Lächeln, seine funkelnden Augen, seine Art, den Kopf zurückzulegen, wenn er lachte. Aber wenn er so war, wie der Ton-Zerstörer sagt, und wenn das der wirkliche Grund für seinen Tod ist, was hat er dann über mich gedacht? Und über meine Mutter? Sich in solchem Zustand auf ein Motorrad zu setzen. Sich nicht darum zu kümmern, ob man lebt oder stirbt.
Oh mein Gott! Die Ankunft deines Zuges wird angekündigt. Es fühlt sich so merkwürdig an, eine Mail an dich fertig zu schreiben, damit ich wirklich losgehen und dich treffen kann! Ich hoffe, du magst mich!
Alles Liebe,
Georgie xx
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Danke!!
Datum: Samstag, 12. August, 17:14
Liebste Georgie,
Liebling, du würdest extrem stolz auf mich sein, wenn du mich jetzt hier sehen könntest – wie ich unter den schicken jungen Leuten im Internet-Café am Bahnhof sitze und vor mich hin tippe. Ich muss noch ein bisschen Zeit totschlagen, ehe mein Zug zurück nach Brighton fährt, also dachte ich mir, ich sende dir schnell eine Nachricht. Ich wollte dir sagen, dass ich es wunderschön mit dir fand. Es war total und absolut frostfrei, dich endlich kennenzulernen, Liebling. Du warst alles, was ich erwartet hatte, und noch mehr. So witzig und klug und wirklich richtig schön.
Ich habe die Mail, die du mir vorhin geschrieben hast, während du auf mich gewartet hast, gerade gelesen, und es ließ mich schaudern, das alles noch einmal durchzugehen. Ich bin so froh, dass du den Mut gefunden hast, mir zu erzählen, was passiert ist, als wir uns getroffen haben, und ich hoffe, der Rat, den ich dir gegeben habe, hilft. Wie ich dir gesagt habe, wir machen uns alle unsere eigene Wahrheit. Der Ton-Zerstörer kann versuchen, dir deine kaputtzumachen, aber du musst es ihm nicht erlauben. Selbst wenn dein Vater Drogen genommen hat, macht ihn das noch nicht zu einem schlechten Menschen.
Der Ton-Zerstörer möchte, dass du das glaubst, weil er sich dann besser fühlt. Er ist der typische unsichere Tyrann. So wie du deinen Vater in Erinnerung hast, so war er – lustig und charmant und liebevoll. Erlaube dem Ton-Zerstörer nicht, deine Erinnerungen an ihn umzuschreiben, sie sind viel zu kostbar dazu – sie sind ein Teil von dem, was du bist.
Ich habe Dylan nicht erzählt, dass er ein Adoptivkind ist, bis er fünfzehn war. Bruce fand, wir hätten es ihm viel früher erzählen müssen, aber ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen. Ich nehme an, ich wollte so tun, als wäre er wirklich mein Kind. Ich wollte nicht, dass er wusste, dass jemand anderes ihn zur Welt gebracht hat. Ich hatte schrecklich Angst, er würde sie ausfindig machen wollen und sie am Ende mehr lieben als mich. Letzten Endes kehrte sich die Sache genau wie all meine dickköpfigen Entscheidungen gegen mich und biss mir in den Hintern. Er war so erschüttert und wütend auf mich, weil ich es ihm nicht früher erzählt hatte, und ich weiß, dass er genau wie du jetzt eine Phase durchmachte, in der er seine eigene Identität infrage stellte. Aber du bist die, die du zu seinbeschließt, verstehst du? Egal, was dein Stiefvater sagt, du kannst sein, wer immer du willst. Behalte das in Erinnerung, Georgie, und bleib stark.
Hat dir die Führung durch Londons Theaterwelt Spaß gemacht? Ich hoffe, du hältst mich nicht für entsetzlich selbstsüchtig, weil ich dich durch all meine früheren Lieblingsplätze geschleift habe, aber ich wollte dir ein Ziel geben, das du anstreben kannst. Damit du davon träumen kannst, eines Tages auch deinen Namen in Leuchtschrift zu sehen.
Oh Georgie, der heutige Tag hat mir so viel gegeben, ich kann dir gar nicht sagen, wie viel. Es war so schön, daran erinnert zu werden, wie mein Leben war, und auch