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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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gibt es ein Stück Fleischähnliches mit dunkler Soße. Hinterher noch ein undefinierbares süßes Etwas. Angeblich Nachtisch. Untertisch würde besser passen. Im Ernst. Das Essen ist vollkommen unzumutbar; funktioniert vielleicht für die Depris, weil die eh nichts essen. Zum Gesundwerden braucht es doch wenigstens gesundes Essen, oder? Wenn Du krank bist, dann koche ich Dir Hühnersuppe und Pudding, damit Du schnell wieder zu Kräften kommst. So wie meine Mutter das auch schon gemacht hat. Ganz normal, möchte man meinen. Ich koche gern. Nicht weil ich es muss, sondern weil es mich beruhigt. Oft denke ich schon morgens unter der Dusche darüber nach, was ich alles kochen und essen könnte. Bei mir ist immer alles frisch zubereitet. Frisch, das kennen die hier gar nicht. Das liegt natürlich auch daran, weil das Gelände hier so groß ist und so viele Patienten mit Essen versorgt werden müssen. Deshalb gibt es hier eine riesige Küchenstadt mit Hunderten kleinen Männchen in weißen Kitteln und mit Plastikhauben auf dem Kopf. So stelle ich mir die Küche von Darth Vader vor. Dem Bösewicht aus Star Wars .
    Schlechtes Essen kann einen umbringen. Also nicht sofort. Das dauert Jahre. Trotzdem bin ich mir ganz sicher, dass es besser wäre, wenn wir uns selbst versorgen müssten. Dazu müsste man Kochgruppen zusammenstellen, aber mit Bedacht. Denn bei einer reinen Depri-oder Schizo-Kochgruppe gäbe es wohl nichts auf den Teller. Einen Versuch wäre es zumindest wert. Ich habe es auch schon angesprochen, aber wenn man darüber nicht gleich mit dem Leiter der Psychiatrie spricht, das ist der Direktor des ganzen Meisenzoos hier, passiert eh nichts. Das ist wie überall sonst auch. Wenn man etwas verändern will, braucht man zuerst eine gute Idee und dann vor allem Geduld.
    Ich mache immer kleine Ausflüge. In den Park gehe ich, wie gesagt, am liebsten. Aber das Gelände und die verschiedenen Gebäude finde ich auch spannend. Vor jedem Haus stehen die Raucher in Bademänteln um einen großen, mit Sand gefüllten Aschenbecher. Wir dürfen auch drinnen rauchen. Das ist der Vorteil an der Meise. Ohne Rauchen ginge es auch nicht. Wir sind allesamt viel zu nervös und würden uns ohne Zigaretten, ohne den kleinen glühenden Strohhalm, mit dem wir die Langeweile wegsaugen, gegenseitig in der Luft zerreißen.
    Das Entfernen von der Station ist erlaubt und ausdrücklich gewünscht, um sich so früh wie möglich wieder daran zu gewöhnen, sich außerhalb von Wolkenkuckucksheim unter den Menschen zu bewegen. Um zu lernen, ohne Hilfe klarzukommen. Macht außer mir aber keiner. Die anderen trauen sich irgendwie nicht. Sie wissen anscheinend auch nicht, wohin sie gehen sollen. Oder es macht ihnen Angst.
    Bevor ich die Station verlasse, muss ich mit einem dicken Filzstift auf eine große Tafel vor dem Schwesternzimmer schreiben, wohin ich gehe. Am Anfang habe ich mich über diese Vorschrift geärgert. Überhaupt habe ich mich über alles aufgeregt. Daran ist aber auch die Meise schuld. Sie macht mich noch ungeduldiger, als ich eh schon bin, und ist eben noch nicht richtig eingefangen. So ähnlich hat es mir ein Arzt erklärt.
    Jedenfalls war mir, als sei ich wieder wie Du ein Kind, das seine Eltern wegen allem um Erlaubnis fragen muss. Das hat mich als Kind schon genervt, genauso wie es Dich nervt. Du glaubst gar nicht, wie doof es sich anfühlt, als Erwachsener wegen jeder Kleinigkeit um Erlaubnis fragen zu müssen. Und umgekehrt: Wenn ich Dir etwas vorschreibe, muss ich immer sofort an meine Mutter denken und höre mich mit ihrer Stimme sprechen. So genau kann ich mich an die Situationen noch erinnern. Das ist wie ein Reflex.
    »Frag, bevor du vom Tisch aufstehst.« – »Frag, bevor du dir etwas Süßes nimmst.« – »Zieh dich warm an.« – »Wasch dir die Hände.« – »Sei still, wenn Erwachsene sich unterhalten.« Diese Sätze, die man, ohne zu überlegen, einfach so sagt. Weil einem nichts Besseres einfällt. Weil man es selbst so gehört hat. Manchmal denke ich, dass die ganze Welt nur in solchen Floskeln spricht und niemand etwas wirklich Überlegtes von sich gibt. Alles schon tausendmal gehört. Tausendmal gesagt. Tausendmal nicht zur Kenntnis genommen. Alle plappern nur das nach, was sie von ihren Eltern und ihrem sonstigen Umfeld aufgenommen haben. Papageien. Aber das ist so. Das machen Eltern so. Regeln aufstellen. Und meistens ist das, was zu regeln ist, genau so dringlich, wie wenn Du etwas unbedingt willst: Man hat

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