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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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Mensch ärgere dich nicht! . Ist das nicht komisch? Lauter traurige Menschen sitzen im Kreis und spielen Mensch ärgere dich nicht! . Zum Totlachen. Oder zum Weinen. Mir ist das jedenfalls viel zu traurig. Wenn das alles ist, was mir bleibt, habe ich überhaupt keine Lust mehr zu leben. Nein. So ein Leben möchte ich nicht. Aber was ich möchte, weiß ich auch nicht so genau. Ich weiß bloß, was ich nicht will.
    Es ist anstrengend, immer anders zu sein. Anders leben zu wollen als die anderen. Immer bestimmt die Mehrheit. Die Gruppe. Die ist hier sowieso ganz wichtig, alles ist Gruppe. Bewegungsgruppe, Kleingruppe, Kreativgruppe und natürlich Gesprächsgruppe. Den anderen hilft das bestimmt auch. Die sind ja völlig überfordert allein. Aber ich habe immer noch so wahnsinnig viel Energie und weiß gar nicht, wohin damit. Und dann soll ich stillsitzen und ein Spiel spielen. Geht gar nicht.
    Tagsüber versuche ich, mich irgendwie zu beruhigen. Mit Musik zum Beispiel. Ohne meinen iPod wäre ich längst abgehauen. Er begleitet mich überall hin. In manchen Situationen wird die Musik zu einer Art Filmmusik, die das Klinikgeschehen untermalt. Alles um mich herum wirkt dann, als sei ich mitten in einem absurden Film gelandet. Das ist wie Fernsehgucken, nur ohne Fernbedienung.
    Jedenfalls kann ich mich nicht entspannen, wenn diese ganzen armen Kreaturen um mich herum sind. Die Langsamen hier drinnen und die »Als-ob-Menschen« draußen. Die regen mich alle auf. Also muss ich versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Sonst knallt’s. Das Dumme ist nur, dass die anderen mich einfach nicht in Ruhe lassen wollen. Sie sind in der Überzahl und dauernd wollen sie etwas von mir. Einen Fahrschein, ein Zeugnis, eine Aussage, eine Meinung, eine Erklärung, eine Entschuldigung, ein Gefühl, eine Zusage, eine Verabredung, einen Vertrag oder auch nur eine Idee für ihr langweiliges und immer gleiches Leben. Und dann saugen sie wie Vampire alles Positive und Lustige und all die guten Ideen aus dir raus, bis du genauso so ein schlaffer, mutloser Sack bist wie sie selbst. Denn das ist für sie das Schlimmste: wenn andere besser, schneller, leichter, interessanter, erfolgreicher oder einfach anders sind. Das können sie nicht ertragen. Und deshalb denken sie sich ständig neue Regeln aus, die nur solche Kleingeister wie sie selbst verstehen können. Nur um uns fertigzumachen.
    Deshalb ist es ganz wichtig, so wenig Amateure wie möglich in sein Leben zu lassen. Gar nicht so einfach. Da suche ich noch nach dem richtigen Weg.
    Als ich hier angekommen bin, hat mich eine Schwesternschülerin gefragt, was ich die Woche über machen will.
    »Machen will ?«
    »Na, montags abends gäbe es die Spielgruppe, dienstags nachmittags die Kreativgruppe …«
    »Und was macht man in der Kreativgruppe so?«
    »Och, das ist ganz unterschiedlich. Töpfern oder Seidenmalerei …«
    Stopp!
    Ich bin 28 Jahre alt. Ich habe Zivildienst in einer Rehaklinik gemacht. Da haben sie so was für die armen alten Menschen veranstaltet. Grauenhaft. Zwanzig vom Leben gebeugte Gestalten hängen über Töpfen mit Farbe in Pastelltönen. Fand ich für Rentner schon demütigend, aber für mich? Undenkbar. Außerdem: Wer soll diese scheußlichen Tücher hinterher eigentlich tragen? Darüber macht sich niemand Gedanken! Bei den Patienten im Krankenhaus mangelte es meist an Angehörigen und somit an potentiell zu Beschenkenden. Also haben sie sich die Tücher selbst umgebunden. Sah toll aus, zum Bademantel oder Trainingsanzug.
    Ich weiß, darum geht es auch gar nicht. Es geht um das Machen. Darum, sich auszudrücken. Trotzdem. Ich finde, der Träger sieht doch hinterher selbst aus, als hätte er eine Meise. Furchtbar. Amateurkunsthandwerk eben. Schlimm. Das ist wie bei der Kunstmeile in der Osterstraße, wo in jedem Schaufenster die Scheußlichkeit eines anderen Amateurs ausgestellt wird. Wochenlang kann man nicht mehr einkaufen gehen, ohne von irgendeiner kleingeistigen Künstlerphantasie angefallen zu werden. Körperverletzung ist das.
    Außerdem bin ich völlig ungeeignet fürs Basteln. Da fehlt mir die Geduld.
    »Ja, also dann vielleicht eher Gruppengymnastik?«
    O bitte! Das wird ja immer schlimmer. Vielleicht noch Aqua-Jogging mit Schwimmnudel, wie? Alles hat seine Grenzen. Meine verläuft genau hier. Ich habe mich noch nicht aufgegeben. Ich kann mich noch schämen. Oder wieder? Hatte ich nicht gerade meine Scham verloren?
    Das ist mir alles zu peinlich. Würdelos. Wie in der

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