Lieber Osama
Tode erschreckt bei dem Krach.
Wir gingen ins Kinderzimmer und waren sicher, ihn heulend in seinem Bettchen zu finden. Aber nein. Ganz friedlich lag er da, mit seinem Mr. Rabbit im Arm. Er hatte die ganze Geschichte glatt verpennt, offenbar galten für ihn die normalen Gesetze des Schlafes nicht.
Wir kehrten nach nebenan zurück und legten uns ins Bett. Alles war herrlich still, und mein Mann schlief sofort ein. Ich lag noch eine Weile wach und fühlte mich einfach nur glücklich. Mein Mann quittierte den Dienst. Kein Warten mehr vor laufender Glotze. Nie mehr diese Angst, mein Junge könnte seinen Vater verlieren. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Und um ganz sicher zu gehen, rüttelte ich meinen Mann noch einmal wach.
- Herr im Himmel, was ist denn?, sagte er.
- War das vorhin ernst gemeint? Willst du wirklich bei der Polizei aufhören?
- Natürlich war das ernst gemeint. Oder hast du schon mal erlebt, dass ich mein Wort nicht halte?
- Nein. Aber wann wird das sein? Er schaute mich an und seufzte.
- Gleich nächsten Montag. Aber darf ich jetzt bitte schlafen?
Ich lächelte und sank allmählich in den Schlaf. Weißt du, Osama, ich hatte meine Tiefpunkte, aber trotzdem war ich damals oft sehr glücklich. Seitdem hat sich viel geändert, aber wenn du genau hinguckst und das Licht stimmt, siehst du in mir noch immer die Erinnerung an diese schöne Zeit. Wie das Wort POLICE auf unserem Astra: verborgen, aber nicht weg.
Es heißt, du wärst als junger Mensch mal in London gewesen. Wahrscheinlich hast du dabei nur die schönen Seiten gesehen. Warst du beim Parlament? Bist du an einem schönen Samstagnachmittag durch Knightsbridge spaziert? Bei Harvey Nichols einkaufen gewesen? Haben sie dich höflich gebeten, deine Kalaschnikoff an der Garderobe abzugeben?
Aber ich nehme an, die Obdachlosen in der U-Bahn sind dir nicht entgangen. Oder die Crack-Mädchen auf dem Drogenstrich. Hast du dich nicht auch gewundert, wie billig sich die Mädchen in London verkaufen? Die meisten kriegst du zum Preis eines Happy Meal für ihre Kinder. Hat dich das auch so beunruhigt wie mich?
Aber wenn du schon beide Seiten von London gesehen hast, Osama, dann verrat mir eins: Welche Seite hasst Allah besonders? Ich frage das, weil ein Tourist ja schlecht beide Seiten hassen kann, das London der ARMANI-FATZKES und das der SKRUPELLOSEN CRACK-MAMIS. Tut mir leid, wenn ich dich einfach so als Touristen bezeichne. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich verstehe nicht, wie man beide Seiten von London hassen kann, solange man mehr als 500 Pfund pro Woche verdient.
Eins an London ist wirklich ekelhaft: die Art, wie sich reiche Leute in deinem Viertel breit machen. Über Nacht sind sie da und verwandeln deine Straße in ein «Quirliges Szene-Viertel mit erstklassiger Verkehrsanbindung», was aber nur bedeutet, dass dein Astra plötzlich von großkotzigen Karren eingekeilt ist. Für diese Karren hatte mein Mann immer ein Auge.
Zum Beispiel am Morgen, nachdem er mir versprochen hatte, bei der Polizei zu kündigen. Wir standen draußen vor der Siedlung. Es war der 1. Mai, es war warm, und der Himmel war blau, wie man es von einem 1. Mai erwartet. Mein Mann trug den Jungen auf der Schulter, und beide grinsten wie die Vollidioten. Sie hatten ihre Arsenal-Trikots an, denn es war Samstag, der große Tag. Arsenal spielte zu Hause gegen Chelsea. Ebenfalls zur Stelle: die Nachbarn von oben in ihren Chelsea-Shirts. Wir gingen zu unserem Astra, die Nachbarn dicht hinter uns. Ließen wie immer ihre blöden Kommentare ab, aber wir beachteten sie gar nicht.
Der Superschlitten stand direkt vor unserem Astra.
- Guck mal, sagte mein Mann. Ein Aston Martin DB7. Irre Karre.
Er setzte den Jungen ab, damit der durchs Seitenfenster schauen konnte. Der kleine Mann drückte sich an der Scheibe die Nase platt. Die Innenausstattung war komplett aus Leder.
- Von 0 auf 100 in unter 5 Sekunden, mein Junge, sagte mein Mann. 400 PS. Damit läuft der Wagen mehr als 280 Spitze. Nicht mal die Polizei hat so schnelle Autos. Wenn ein Verbrecher mit so einer Karre abhaut, brauchen wir einen Hubi.
- Hubi, sagte unser Sohn. Hubi, Hubi, Hubi. Er grinste. Er liebte dieses Wort.
Dann stiegen sie in unseren alten Astra und fuhren davon. Der Junge presste seine Nase gegen die Scheibe, und ich winkte ihm hinterher. Ich weiß nicht mal, ob er zurückwinkte, denn ich dachte schon darüber nach, was ich noch alles einkaufen musste. Es ist komisch, über den Tod denkt
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