Lieber Osama
nicht. Du weißt, wie das ausgeht.
- Klar, sagte Jasper. Sollen sie mich doch umbringen. Das Gefängnis fand ich noch nie so verlockend.
Ich trat ganz nahe an Jasper heran und legte ihm die Hand auf die Wange.
- Warum tust du das alles? Jasper grinste.
- Naja, sagte er. Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass du genug gelitten und ein kleines bisschen Gerechtigkeit verdient hast?
- Nein.
- Nein?, sagte Jasper. Dann wird es wohl an deinen Titten liegen.
Ich fing an zu lachen und er auch. Es kam wohl daher, dass er auf Koks war und ich kaum geschlafen hatte, aber wir kriegten uns gar nicht wieder ein.
- Ach, Jasper, wir zwei sind vielleicht fertig.
- Oooh ja, sagte er. Petra hat uns so richtig verarscht. Wir sind so fertig, wie es jemand in England zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur sein kann. Wir sind am Ende.
Er umarmte mich, und eine Weile hatten wir richtigen Spaß unter dem guten alten Churchill mit dem dröhnenden Morgenverkehr um uns herum, aber bald hörte Jasper auf zu lachen. Er langte nach dem Koffer und machte den Reißverschluss auf. Es war keine schmutzige Bombe drin, sondern nur Mr. Rabbit.
- Hier, sagte er. Ich dachte, du willst ihn sicher zurück. Pass gut auf ihn auf, hörst du?
Erst der Anblick von Mr. Rabbit machte mir klar, dass das hier wirklich geschah. Auf einmal fühlte sich der Regen wieder kalt an, und ich zitterte.
- Jasper, laß den Blödsinn sein. Komm, gehen wir. Verschwinden wir, egal, wohin. Wir nehmen den nächsten Zug und fahren einfach weg.
- Und wohin?, fragte Jasper.
- Ich weiß es nicht. Alles, nur nicht London. Jasper streichelte meine Wange.
-Aber London ist überall, sagte er. Jedenfalls für uns. Begreifst du denn nicht, wir sind London. Egal, wohin wir gehen, du würdest weiter trauern und ich… na ja…
-Was?
Jasper sah auf den nassen Boden und die Taubenscheiße und die schwarzen Placken von all den Kaugummis.
- Ich wäre enttäuscht, sagte er.
Der Verkehrslärm war jetzt nicht mehr so stark, die Rush-hour fast vorbei. Wer Arbeit hatte, war entweder dort angekommen oder hoffte, sein Boss wäre es noch nicht. Ich reckte mich hoch und küsste Jasper ganz schnell auf den Mund.
- Jasper?
- Ja?
- Mein Junge hätte dich gemocht.
- Geh jetzt, sagte er. Du musst hier weg.
Dann zückte er sein Handy und rief die Polizei an. Ich verschwand über die St. Margaret Street und drehte mich nicht mehr um.
Jasper Black ist nie dazu gekommen, seine Aussage vor einer Kamera zu machen, und ich sah ihn auch nie wieder außer auf den Fernsehbildern von dem Moment, wo er mit dem albernen rosa Koffer auf der Churchill-Statue sitzt und der Polizei-Scharfschütze ihn von hinten abknallt. Ich nehme mal an, du hast die Bilder auch gesehen, Osama, sie sind ja ziemlich legendär geworden. Das kommt von diesem breiten Lächeln, mit dem er in die Tiefe stürzte.
I CH WAR NOCH GAR NICHT SO weit weg, als die Massenpanik begann. Ich kann die Leute ja gar nicht dafür tadeln, dass sie wegrennen, wenn im Fernsehen von einer schmutzigen Bombe die Rede ist. Ich hätte wahrscheinlich auch die Beine in die Hand genommen. Ich war auf der Millbank kurz vor den Victoria Tower Gardens, als die Leute plötzlich aus den Büros stürmten. Sobald es angefangen hatte, ging alles unheimlich schnell. Ich sage dir, Osama, Panik, das ist wie ein lebendiges Wesen mit einem eigenen Geruch und einer eigenen Stimme. Allein von dem Geruch kann dir schlecht werden, denn es ist der Geruch von Schweiß und Kampf. Dazu dieser entsetzliche Lärm. Ausgewachsene Männer schrien wie am Spieß, Sirenen jaulten, und Autos krachten rückwärts in Beine, Poller und Absperrgitter. Es war wie in einem Albtraum. Je mehr Leute auf die Straße rannten, desto mehr wuchs die Panik – wie ein Monster aus Menschenkörpern.
In dem Gedränge ging irgendwann mein Junge verloren, und ich rannte hierhin und dorthin, rief und suchte nach ihm, aber die Menge wurde immer dichter, ich konnte schon längst nicht mehr, wohin ich wollte. Inmitten all der jungen Kerle in dunklen Büroanzügen, die sich schreiend und schubsend vorankämpften, hatte ich keine Wahl, als einfach mitzulaufen. Dann konnte ich nicht mehr und fiel hin. Ich lag auf dem nassen Asphalt, und sie trampelten einfach über mich hinweg mit ihren harten Ledersohlen. Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen, und als es vorbei war, stand ich auf und ging weiter Richtung Lambeth Bridge.
Am Kreisverkehr Horseferry war diese Frau in einem grünen Range Rover,
Weitere Kostenlose Bücher