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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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mal 4 Jahre und 3 Monate alt waren und noch mit einem Hasen namens Mr. Rabbit schliefen. Ihr alle habt euren Männern gesagt, sie sollen packen und nach Hause gehen. Und das war’s dann. Der Spuk war vorbei. Übrig blieben ein paar Schützengräben, die langsam voll Wasser laufen, und verlassene Kellerlöcher mit Dschihad-Schmierereien, die der Schwamm überwuchert. Wo mal der Terror hauste, liegen nur noch Millionen Kaugummipapierchen und Zigarettenkippen.
    Sie kappten alle Sperrballons vom Schutzschild der Hoffnung und ließen sie fliegen. Am Ballon meines Jungen hielt ich mich fest und ließ mich unter seinem lächelnden Gesicht in die Höhe tragen, hoch in den Nachthimmel hinauf. Es war schön, von dort oben auf London runterzugucken, das immer kleiner wurde, bis es nur noch ein Pünktchen in der Dunkelheit war. Es schien, als brauchte man bloß runterzuspucken, und es wäre ausgelöscht. In meinem Traum fragte ich mich, wohin mich mein Junge wohl tragen würde. Wir flogen hoch über der Erde, der Mond schien sehr hell, und ich konnte alles sehen. Silbrig glänzten die Berge und die Flüsse, und in den Wäldern wimmelte es von Tieren, die jagten oder gejagt wurden und sich nichts Besonderes dabei dachten. Ein warmer Wind schob uns mächtig an, und es ging hinunter über Täler und Dörfer, wo Fenster erleuchtet waren und Farben glühten und wo es nach Essen roch. Und aus allen Häusern hörte man Mütter ihren Kindern ein Schlaflied singen, denn ihre Liebe war stärker als alle Bomben.
    Es regnete, als ich aufwachte, und noch immer saß ich in dieser Toreinfahrt. Ich sah den Leuten hinterher. Dieser typische Montagmorgen-Auflauf all derer, die jetzt zur Arbeit mussten. Mir fiel ein, dass ich noch vergangene Woche dazugehört hatte. Nach einer Weile stand ich auf und ging zu einer Telefonzelle. Mein Junge folgte, und der Asphalt schmolz unter seinen Füßen.
    Ich steckte meine letzten Münzen in den Schlitz und wählte Jaspers Handynummer. Nach einer halben Ewigkeit ging er ran.
    - Jasper, ich bin’s. Was ist los? Kann ich wieder in meine Wohnung?
    - Das wäre nicht so schlau, sagte Jasper. Da sind Leute, die nach dir suchen.
    - Ich habe in die Zeitung gesehen. Ich habe in alle Zeitungen gesehen. Wo ist unsere Story?
    - Weg, sagte er. Unsere Story ist tot. Petra hat sie gekillt.
    -Was heißt das?
    - Petra behauptet, sie hätte es sich anders überlegt. Sie rief mich am Samstagabend aus der Redaktion an. Sagte, der Bericht läge nicht im nationalen Interesse. Klasse, was? Als wäre Petra das nationale Interesse nicht scheißegal.
    - Hör zu, Jasper, mir geht gleich das Geld aus. Wenn Petra die Geschichte nicht bringen will, musst du es eben tun.
    - Sorry, aber das geht nicht mehr, sagte Jasper. Ich erzähl dir, was passiert ist. Petra hat uns an die Zeitung verkauft, und die Zeitung hat uns an die Regierung verkauft. Jetzt hat die Regierung dein Video, und die Zeitung kriegt die nächsten Insider-Geschichten aus Downing Street exklusiv. Gott allein weiß, was Petra dabei für sich herausgeschlagen hat. Mich würde es nicht wundern, wenn sie als stellvertretende Chefredakteurin aus dem Mutterschaftsurlaub zurückkehrt. Am Ende haben alle was davon. Oh, außer dir natürlich. Und mir. Und der englischen Öffentlichkeit. Daran siehst du, wozu Petra fähig ist. Sie hat nicht nur dich und mich, sondern ein ganzes Land verarscht.
    Ich kapierte das alles nicht. Ich lehnte mich gegen die Wand der Telefonzelle und sah, wie an der Stelle, an der mein Junge seine Nase platt drückte, das Glas schmolz.
    - Bist du noch da?, sagte Jasper.
    - Ja. Was geschieht jetzt?
    Oh, sagte Jasper. Jetzt geht der Spaß erst richtig los. Ich werde gefeuert und komme wegen Drogenmissbrauchs auf die schwarze Liste. Keiner gibt mir mehr einen Job. Petra zieht fürs Erste zu ihren Eltern ins schöne Primrose Hill, kriegt dort mein Baby und besorgt sich eine einstweilige Verfügung, die mir den Umgang mit dem Kind untersagt. Ich rotte vor mich hin. Mein Dealer und der Weinladen um die Ecke verdienen noch eine Zeit lang ganz anständig an mir. Eines Tages dann rufen meine Nachbarn die Feuerwehr, weil so ein komischer Geruch aus meiner Wohnung kommt, und die schafft dann meine halbverweste Leiche weg.
    - Du bist high.
    - Sehr, sehr high, mein Schatz, sagte Jasper. Es ist 8 Uhr früh, und der gute Jasper ist so high wie der Mount Everest.
    - Ich muss in meine Wohnung, Jasper. Ich brauche meine Bankkarte und neue Sachen zum Anziehen. Was sind das

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