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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Hintergrund sah man einen kleinen Jungen mit rötlichem Haar im Garten tollen, der konnte nicht älter sein als 4 Jahre und 3 Monate.
    Ich schmiss den Mirror auf den Boden und schrie auf, und der Kioskbesitzer kam hinter der Theke hervor.
    - He da, sagte er. Sie bezahlen die Zeitungen, oder Sie legen Sie zurück.
    Ich fiel auf die Knie, starrte auf die über den Boden verstreuten Schlagzeilen und rastete irgendwie derart aus, dass ich nicht mehr wusste, ob ich lachte oder weinte.
    - Ach du heilige Scheiße, sagte der Inhaber. Das ist ein Zeitungskiosk, kein Irrenhaus. Hauen Sie ab, aber sofort.
    Ich stand auf und rannte raus, den Koffer im Schlepptau. Das Ding rumpelte heftig über den Bürgersteig, und mein Junge musste sich richtig dran festklammern, um nicht runterzufallen.
    - Mami!, rief er. Was ist passiert?
    Ich blieb stehen, sah ihn an, und dann riss ich die Hände vor den Mund und schrie wirklich los. Sein schönes rotes Haar war ganz verschmort und rann ihm wie Teer übers Gesicht. Seine Haut war verbrannt bis auf das rohe Fleisch, und ein Auge sah aus wie gekochtes Ei. Ich schrie wieder, ließ den Koffer, wo er war, und rannte die Warwick Street hoch, mein Junge immer hinterher, wobei die Kartons der Obdachlosen und ihre billigen Nylonschlafsäcke in Flammen aufgingen, als er an ihnen vorbeilief.
    Bei der erstbesten Telefonzelle hielt ich, warf 30 Pence ein und rief in Jaspers und Petras Wohnung an, aber es meldete sich bloß der Anrufbeantworter, und das Geld war weg. Ihre Handys hatten sie auch nicht eingeschaltet. Ich versuchte es den ganzen Tag weiter und gab dabei meine letzte Kohle aus, denn das Geld, das mir Petra gegeben hatte, war für das Hotel und die Drinks im Travelodge draufgegangen. Sie hatte mir eingeschärft, bloß nicht meine Bankkarte zu benutzen, die deshalb bei ihr zu Hause unter der Matratze lag. Und ehe ich nicht wusste, was los war, hatte ich zu viel Angst, nach Bethnal Green zurückzugehen, also lief ich erst mal durch Soho. Soho würde dir nicht gefallen, Osama, denn auf Schritt und Tritt begegnest du dort Sachen, die der Prophet aus irgendeinem Grund verboten hat – außer vielleicht am Soho Square, aber dafür ist es dort immer ziemlich überlaufen. Der Tag nahm kein Ende.
    Als es dunkel wurde, hatte ich Hunger und mein Junge auch, sogar so sehr, dass er nicht mal mehr weinte, sondern nur noch still und blass auf dem Gehweg saß. Selbst den Flammen an ihm schien die Nahrung ausgegangen, außer an den Fingerspitzen, die noch flackerten wie kleine Kerzen. Irgendwo musste ich was zu essen für ihn auftreiben, bloß war ich leider völlig blank. Deshalb setzten wir uns erst mal in einen Hauseingang, froren, wurden immer hungriger und hofften auf ein Wunder. Aber es geschah keins, und als mein Junge anfing zu bibbern, begann ich zu betteln. Ich frage mich, ob du weißt, was das für ein Gefühl ist, vor deinem eigenen Sohn auf der Wardour Street zu sitzen, einen McDonald’s-Becher vor dir, und die alten Säcke anzuschnorren, die aus den Sexshops kommen.
    Aber irgendwie hatten die Leute wohl Mitleid mit mir, denn am Ende hatte ich tatsächlich einen Fünfer zusammen. Davon kaufte ich ein Happy Meal und eine extragroße Fanta für meinen Sohn, und wir setzten uns bei McDonald’s in eine Ecke. Mein Junge war sauer, und das konnte ich ihm nicht mal verdenken. Ich meine, welcher Junge sieht seine Mutter schon gern betteln? Da er sein Happy Meal nicht anrührte, musste am Ende ich es essen.
    Wir verbrachten die Nacht in einer Toreinfahrt in der Berwick Street. Ich fand ein großes Stück Luftpolsterfolie und wickelte uns darin ein, aber gegen die Kälte half das nicht viel.
    Ich konnte sowieso kaum schlafen. Mein Junge qualmte und knisterte die ganze Nacht vor sich hin, trotzdem strahlte von ihm nicht die geringste Wärme aus.

 
    I N DIESER T OREINFAHRT , eingepackt in Luftpolsterfolie, träumte ich vom Ende des Terrors. Träumte, dass ich dir diesen Brief schreibe, Osama. Und du hast ihn gelesen und bist hinter einen Felsen gegangen, wo deine Männer dich nicht sehen konnten, und hast bitterlich geweint, weil du meinen Sohn getötet hast. Der Brief hat dich so traurig gemacht, so traurig und müde, dass für deine Wut einfach kein Platz mehr war. Den anderen habe ich natürlich auch geschrieben, Osama, wie versprochen. Dem Präsidenten und dem Premier, und auch sie hatten auf einmal die Nase voll von allem. Keiner von euch war mehr scharf drauf, kleine Jungs umzubringen, die gerade

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