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181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Der Sturm pfiff durch die Ritzen der Gondelwand. Er stand auf, nahm die Fackel aus der Bodenhalterung und tat, was er während der letzten zwei Stunden fast ununterbrochen getan hatte: Er strich mit der Flamme entlang der inzwischen rußgeschwärzten Rohrleitung, die von der Ansaugpumpe aus eine Handbreite über dem Gondelboden an der Innenwand entlang bis zum Brenner unter der Maschinenluke führte.
    Eine gefährliche Angelegenheit. Sein Vater hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt, im Inneren der Gondel mit offenem Feuer zu hantieren. Den Kaiser nämlich hatte es vor langer Zeit beinahe das Leben gekostet, als sein Luftschiff Feuer fing und abstürzte.
    Doch was sollte Victorius tun? Die Pumpe hatte sehr feuchte Luft in die Sauerstoffzufuhr des Brenners gesaugt, und als er vor dem Orkan in allzu große Höhen flüchtete, gefror diese feuchte Luft. Vermutlich war auch das Wasser im Kessel längst gefroren. Die Temperaturen stürzten unter den Gefrierpunkt, sodass er praktisch nicht mehr reagieren konnte. Die Folgen waren verheerend: Ohne Sauerstoffzufuhr war der Brenner ausgefallen, ohne Brenner erlosch das Feuer in der Heizkammer; ohne Feuer in der Heizkammer kein kochendes Wasser im Kessel, ohne kochendes Wasser kein Dampf, und ohne Dampf weder heiße Luft, noch Kolbenbewegungen, die den Propeller antrieben.
    Die PARIS drohte ein Spielball der Naturkräfte zu werden.
    Während er also mit der Linken die Fackelflamme entlang der Rohrleitung führte, drehte er mit der Rechten an der Kurbel für den Zündstein. Metall scharrte über Stein und im Glaskolben sprühten die Funken. Er starrte auf den Öldocht im Kolben, und Angst flackerte in seinen großen hellblauen Augen. »Wenn es wieder nicht gelingt«, murmelte er, »wenn es wieder nicht gelingt…«
    Kleine Schweißperlen glänzten auf seiner braunen Stirn, Dampf stieg von seinem entblößten Schädel auf und schlug sich als Raureif in seinen Brauen, seinen Bartstoppeln und dem Kraushaar nieder. »Wenn es wieder nicht gelingt…«
    Draußen brüllte der Orkan. Die Gondel begann zu vibrieren, zu schaukeln, sich zu drehen. Victorius hob den Kopf und blickte zu den geschlossenen Fensterluken.
    Eisblumen zierten das Glas. An der Decke schaukelten Körbe, Fellbeutel, Ledersäcke, Schinkenkeulen und – direkt über der festgeschraubten Öllampe auf dem festgeschraubten Kartentisch – ein engmaschiges Netz von der Größe eines Männerschädels. Es war mit Flaumfedern und Fellresten voll gestopft. »Was ist mit dir? Lebst du noch?«
    Seine Augen folgten ein paar Mal den Pendelschlägen des Netzes, doch rasch erinnerte er sich seiner gefährlichen Arbeit, blickte erst zur Fackel und dann wieder zum Funkenschlag hinter dem Glaskolben. Ein Flämmchen zitterte am Docht. »Es gelingt!« Er steckte die Fackel zurück in die Bodenhalterung, stülpte den Blechköcher drüber, um sie zu löschen, und hockte sich dann mit gekreuzten Beinen vor den Brenner. Zuerst drehte er die Ölzufuhr auf – die Flamme wuchs. »Gut so, gut so!« Dann öffnete er das Ventil des Gasballons unter dem Brenner: Grelles Licht erfüllte jäh den Glaskolben, ein Feuerstrahl schoss in die Heizkammer. »Es gelingt!«
    Victorius klammerte sich am Kupferbügel fest, der entlang der Innenwand auf Hüfthöhe rund um den ovalen Grundriss der fünf Meter langen und drei Meter breiten Gondel lief. Sie schwankte heftig, drehte sich hin und her, und dem schwarzen Hünen wurde übel. Die rechte Hand vor den Mund gepresst, versuchte er seines Brechreizes Herr zu werden und zugleich die Kontrollanzeigen im Auge zu behalten. Die Temperatur in der Heizkammer stieg rasch, die im Wasserkessel langsamer, aber immerhin.
    Die Minuten krochen zäh dahin. »Hältst du durch?«, fragte er über die Schulter hinweg. »Halte durch!«
    Er selbst hielt nicht durch – irgendwann warf er sich vor einem Kübel an der Gondelwand auf die Knie, riss den Deckel hoch und übergab sich. Als er sich später keuchend aufrichtete, hörte er das Zischen der Dampfventile und das Stampfen des Kolbens. Die Maschine war angesprungen!
    Er stand auf, torkelte durch die schwankende Gondel zur Armaturentafel über dem Brenner und blinzelte die Kontrollinstrumente an: Das Wasser kochte, der Dampfdruck stieg, die Maschine war angesprungen und die Druckdüsen bliesen wieder heiße Luft in den Korpus der Roziere! Und schließlich sprang auch der Propeller wieder an.
    Noch immer schwankte das Luftschiff beträchtlich. Das Heulen des Orkans klang wie das

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