Liebesbrand
das glücklicherweise nicht getötet, aber verwundet hatte. Was
mache ich hier? dachte ich, dies war kein Ort der Bedrohung, doch ich hatte noch immer diese Kopfschmerzen, und in meinem
Kopf überschlugen sich die Gedanken, ist das Schicksal ein Kinderfinger, der ins heiße Kerzenwachs fährt und Löcher hineinsticht?
bin ich dumm, weil ich in meinem blinden Eifer, am Leben bleiben zu wollen um jeden Preis, wichtige Dinge übersehe? Vielleicht
sollte ich meinen guten Willen zeigen und den Männern lauschen, vielleicht verbarg sich in ihren Worten eine Wahrheit, an
die ich mich nur zu halten brauchte, denn die Wahrheit ist, daß man ahnen kann, woran man bereit ist, sein Herz zu |28| hängen. Und ich dachte, mein Gott, jetzt spürst du die Spätfolgen des Unfalls, jetzt kommt der Schock, es wird eine kleine
Ader platzen, und du wirst gleich an Hirnblutung sterben …
Unser neuer Freund ist wohl ein unerbittlicher Denker, sagte Messer, er weilt nicht wirklich unter uns.
Doch, sagte ich, ich weiß nur nicht, wie es weitergehen soll.
Willkommen in unserer Gemeinschaft, sagte Bluterguß, nimm einfach das erstbeste Angebot an, versuch’ nicht den Preis herunterzuhandeln,
sei zufrieden und troll dich.
Er meint den Ablauf auf der Station, sagte Leber.
Wir gehen lieber mal wieder rein, sagte Messer, die schöne Ärztin möchte sich bestimmt ein Bild machen. Ich sage dir, Rippe,
sie mag dir die Vene zerstechen, wenn sie dir eine Kanüle legt, doch glaube mir, du bettelst bei ihrem Anblick darum, daß
sie dir weiter weh tut. Ich kenne nur eine Lilie der Reinheit, und das ist die herrlich schöne Frau Ärztin.
Ich schlurfte ihnen hinterher, und tatsächlich, wir kamen gerade rechtzeitig, der ›Chef‹ war eine Ärztin und machte ihre Visite
im Krankensaal, sie nahm unsere Anwesenheit stirnrunzelnd zur Kenntnis, sie stand am Bett der schamhaften Frau und hielt ein
Röntgenbild hoch, sie sprach mit einem Arzt zu ihrer Rechten, der sich emsig Notizen machte und zwischendurch Anweisungen
gab, eine Krankenschwester eilte davon, die Ärztin rief ihr zu, sie sollte nicht wie in Panik losstürmen, sonst kämen die
Patienten noch auf falsche Gedanken. Nun ja, dachte ich, diese Frau ist erstens dank ihrer Stellung in der Hierarchie eine
Respektsperson, und zweitens hat sie mit leichtem Rougeauftrag ihre hohen Jochbögen akzentuiert, und drittens sollte Messer |29| alle Hoffnung fahren lassen, die Chefärztin trägt einen Ehering, sie wird auf die Liebesschwüre eines Mannes nicht eingehen,
der jeden Nebenbuhler niederschießt. Eine zweite Krankenschwester scheuchte eben diesen Messer nach hinten in den Saal, es
sei unfein, sagte sie, die Krankengeschichten anderer Menschen zu belauschen, Messer bedachte sie mit einem finsteren Blick,
schlenderte zum Saalende und zog, an seinem Bett angekommen, den Trennvorhang zu. Ich setzte mich auf die Bettkante, und da
ich nicht Leber gegenübersitzen wollte, schüttelte ich das Kissen auf und streckte mich auf dem Bett aus. Es dauerte keine
fünf Minuten, bis die Ärztin an meinem Bett stand, ich wollte mich aufrichten, doch sie befahl mir, die entspannte Haltung
nicht aufzugeben, das waren ihre Worte: Ich befehle Ihnen, Ihre entspannte Haltung nicht aufzugeben. Sie hielt mein Röntgenbild
gegen das Licht, schaute mich ernst an, und weil ich keinen Sinn darin sehe, fremde Frauen anzulächeln, blickte auch ich ernst
zurück.
Sie haben Glück im Unglück gehabt, sagte sie, Ihre Rippen sind nicht gebrochen, wir werden Sie noch weitere zwei Tage hierbehalten.
Haben Sie besondere Wünsche, die wir berücksichtigen sollen?
Nein, danke, sagte ich, wie viele Menschen sind bei dem Unfall gestorben?
Die genaue Zahl liegt mir nicht vor, sagte sie, und auch wenn ich sie wüßte, Sie würden es von mir nicht erfahren.
Ärztliche Schweigepflicht, sagte ich dumm.
Nein, sagte sie, Pietät.
Und wie ist es mit der Zahl der Schwerverletzten?
Kein Kommentar, sagte sie, vergessen Sie nicht: Zu viel Neugier ist tödlich. Und dann lachte sie, vielmehr entgleisten ihre
Gesichtszüge, und sie ließ ein seltsames Kleinmädchenkichern vernehmen, ihr Lachen verebbte |30| mit einem hellen Zimbelton, und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Messer den Trennvorhang hastig aufzog, und als ich ihm
den Blick zuwandte, sah ich ihn in meine Richtung starren.
Ich mußte natürlich mit ihm reden, ich mußte ihm glaubwürdig auseinandersetzen, daß ich keinerlei
Weitere Kostenlose Bücher