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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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entführt worden, nur der Mond ihr Zeuge, aber so lange konnte Marius den Wagen nicht ausborgen.
    Marius wollte sie küssen, als sie nur mit einer Reisetasche und einem Tuch um die Schultern erschien, doch Elspeth drängte zur Eile.
    Â»Fahr«, sagte sie. »Fahr einfach.«
    Er erkundigte sich nach dem übrigen Gepäck.
    Â»Fahr einfach«, wies sie ihn an.
    Niemand folgte ihnen, doch Marius tat wie ihm geheißen, er fuhr einfach.
    Gelegentlich beugte sich Elspeth zur Seite und sah in den Rückspiegel, um sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurden. An Ampeln wurde sie unruhig, und wenn jemand ihr Auto überholte, tat sie erschrocken. Aber es gab keinen Grund. Kein Alarm war ausgelöst worden, niemand hatte sich an ihre Fersen geheftet. Nachdem der Professor festgestellt hatte, dass seine Bibliothek noch vollständig war und sie mit keinem seiner Vortragsmanuskripte abgehauen waren, seufzte er und überließ die Geflohenen ihrem Schicksal. Das verzieh Elspeth ihm nie.
    Sie hatten sich vorher nicht darüber verständigt, wohin die Reise gehen sollte. Elspeth wollte, dass es ein Geheimnis blieb. Marius nahm an, dass er sie auf seine Studentenbude in Sutton Coldfield bringen sollte, auch wenn er sich dort das Bad mit vier Kommilitonen teilte. Elspeth dagegen hoffte auf eine Art Übergangszeit an einem Ort, wo keiner von beiden zu Hause war. Als Marius ihr erklärte, er müsse den Wagen vor Einbruch der Dunkelheit zurückbringen, sagte sie, in dem Fall müsse er sie ebenfalls vor Einbruch der Dunkelheit zurückbringen.
    Â»Wenn du deinem Professor und Gönner die Frau ausspannen kannst«, sagte sie, »kannst du einem Freund doch wohl auch das Auto klauen.«
    In diesem Moment wurde Marius klar, auf was für ein dubioses Abenteuer er sich eingelassen hatte. Fortan verstand er sich als Immoralist.
    Er fuhr ziellos umher, bis Elspeth ein Ortsschild nach Stratford Upon Avon entdeckte. »Bring mich dahin«, sagte sie.
    Marius blickte auf die Benzinuhr, bis Stratford würde es gerade noch reichen.
    Elspeth liebte Shakespeare, und seinetwegen liebte sie Stratford Upon Avon. Statt in der Bed-and-Breakfast-Unterkunft, die Marius für sie gefunden hatte, gleich auf ihr Zimmer zu gehen, führte sie ihn zum Royal Shakespeare Theatre, wo, wie es der Zufall wollte, gerade Antonius und Kleopatra gegeben wurde.
    Â»Weißt du, was?«, flüsterte sie ihm, kurz bevor das Saallicht erlosch, ins Ohr. »Vor genau fünfundzwanzig Jahren habe ich hier an diesem Haus Peggy Ashcroft als Kleopatra und Michael Redgrave als Antonius gesehen.«
    Â»Das war vor meiner Zeit«, antwortete Marius flüsternd.
    Sie hielt sich an seinem Arm fest. »Keiner hätte gedacht, dass Peggy Ashcroft das Zeug zu einer Kleopatra hatte, aber sie war großartig.«
    Mochte das alles auch vor seiner Zeit gewesen sein, dass Kenneth Tynan sich giftig über diese berühmte außergewöhnliche Besetzung geäußert hatte, war Marius bekannt. Durch seinen Essay, in dem er Tynan und George Bernard Shaw als Kritiker des englischen Theaters verglich, war Elspeths Mann ursprünglich auf ihn aufmerksam geworden. Der Professor war kein Freund des Theaters, wie auch Marius keiner war, und sie teilten eine Vorliebe für solche Momente in der Geschichte der Theaterkritik, in denen selbst große Kritiker nicht gut auf das Theater zu sprechen waren. Marius erinnerte sich an Tynans witzige Bemerkung, die einzige Rolle in Antonius und Kleopatra, zu der englische Schauspielerinnen das Zeug hätten, sei die der Octavia, Cäsars blasser Schwester. Etwas sadistisch, unter den gegebenen Umständen, zitierte er diese Worte vor Elspeth, ebenso Tynans bewusst ordinär formuliertes nachfolgendes Gespött: »Die großen Schlampen des Welttheaters haben unseren Mädchen schon immer zu schaffen gemacht.«
    Unterstellen wir Marius ruhig die ärgsten Motive. Nicht nur brauchte er nach seiner armseligen Vorstellung beim Akt des Durchbrennens eine Selbstbestätigung, es musste auch etwas in seinem Wesen angesprochen haben – anzunehmen sind seine Gehässigkeit und sein Sadismus –, das Wort Schlampe in Gegenwart der Frau seines Professors auszusprechen, einer Frau, die alt genug war, ihn deswegen zu rügen, und die soeben seinetwegen die wohlanständige Sicherheit ihres früheren Lebens aufgegeben hatte.
    Elspeth dagegen fand, dass Peggy Ashcroft durchaus

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