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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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der halbtags arbeitete, und das nur auf halber Geistesflamme, und der sich Marius’ in dessen zweitem Studienjahr annahm, weil er in dem jungen Mann ein frühreifes und möglicherweise unglückseliges Genie sah und weil er sich in ihm wiedererkannte. Bevor er sich in ein Leben akademischer Randständigkeit fügte und das, was von seiner Intelligenz übrig geblieben war, vor leeren Auditorien versprühte – leer bis auf Marius –, hatte sich der Professor Hoffnung gemacht, einst als scharfsinniger Essayist, Mythenschöpfer und Epigrammatiker in die Geschichte einzugehen. Jetzt, hinkend und schwerhörig, malte er sich die gleiche Zukunft für Marius aus, der häufiger Gast in seinem Haus wurde, wo er Elspeth kennenlernte, die alt genug war, um seine Mutter, aber nicht alt genug, um seine Großmutter zu sein. Sie war sehr schön, mit silberweißem Haar, in dem scheinbar alterslosen Stil englischer Mittelklassefrauen, die das Altaussehen hinter sich bringen, während sie noch jung sind. Mit fünfzehn sah sie aus wie hundert, die folgenden dreißig Jahre über sah sie aus wie fünfzehn. Jetzt schwebte sie, am Äquinoktialpunkt, zwischen Zuversicht und Verzweiflung, ihr Tag noch nicht vorbei, das Triebwerk ihres Abends eben erst angelaufen – und Marius, Vorsicht hin, Anstand her, war, wie ich später erfahren sollte, keineswegs immun gegen das Äquinoktium.
    Er sprach freimütig mit ihr – gemessen an seiner Verschlossenheit – und in Hörweite des Professors über seine Liebe zu ihr. Seine Sprache stelle ich mir dabei irgendwo zwischen Gatsby und Schopenhauer vor, nach den Träumen greifend, immer wacker voran, wie Boote gegen den Strom, der garantierten Unzufriedenheit, dem garantierten Unglück entgegen.
    Â»Was verstehen Sie schon von Liebe oder Liebeskummer?«, forderte sie ihn heraus, die Stimme wie Glocken in einem christlichen Dorf am Morgen einer Krönungsfeier.
    Sie saßen im Garten und tranken Pimm’s. Es war einer jener milden englischen Sommertage, an denen man meint, die Ewigkeit zu spüren.
    Â»In Ihrem Alter ist Liebe nur ein Wort«, sagte der Professor. »Ihr Elend können Sie noch gar nicht ergründet haben.«
    Wenn der Professor redete, hörte es sich an, als raschelte trockenes Papier in den Bäumen.
    Â»Im Gegenteil«, widersprach Marius. »Ich habe nur ihr Elend ergründet. Ich gebe zu, einem verliebten Mann haftet immer eine gewisse Erbärmlichkeit an, wie Wittgenstein es nennt, ganz egal, ob die Liebe ihn glücklich oder unglücklich macht. Aber, so Wittgenstein weiter, es ist schwerer, gut unglücklich verliebt zu sein, als gut glücklich verliebt.«
    Jetzt sangen die Bäume das Lied von der Ewigkeit.
    Der Professor und seine Frau tauschten Blicke. Siehst du?, sprach es aus den Augen des alten Mannes. Was habe ich dir gesagt? Ist er nicht brillant?
    Elspeth nickte. Ja, jetzt sah sie es auch.
    Sie brannten durch, Marius und Elspeth. Gut möglich, dass sie die Letzten ihrer Gattung waren, die sich zu diesem Schritt entschlossen. Durchbrennen ist eigentlich ein Akt verzweifelter Verliebter in rigiden Gesellschaften. Heutzutage verkündet man einfach, dass man geht, und lässt den anderen sitzen. Den beiden hätte sich doch niemand in den Weg gestellt, weder der Professor, dessen Leben ohnehin so viele Enttäuschungen bereithielt, dass sich der Verlust seiner Frau – der auch als der Gewinn eines Sohnes angesehen werden konnte – kaum auf seine Schwermut auswirkte, noch Marius’ Vater, der auf seinen Sohn herabsah und keinen weiteren Beweis dafür brauchte, dass er ein Narr war. Marius’ Mutter, was zu erwähnen mir mit Rücksicht auf die menschliche Psychologie peinlich ist, war selbst ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes durchgebrannt, richtig durchgebrannt, verfolgt von einem bewaffneten Ehemann. Marius und Elspeth wurden von niemandem verfolgt, sie brannten durch, weil sie durchbrennen wollten.
    Marius wartete in einem geliehenen Wagen vor ihrem Cottage in Quatford. Er war zwanzig, und sie war … aber es ist egal, wie alt sie in Wirklichkeit war, gefühlsmäßig war auch sie zwanzig. Es war vier Uhr nachmittags, die Stunde, in der ihr Mann, der Professor, entweder seine Vorlesungen oder sein Mittagsschläfchen hielt oder, wie Elspeth witzelte, ihre Stimme mädchenhaft jung, beides auf einmal. Lieber wäre sie nachts

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