Liebesdienst
viel zu diesem Thema sagen, aber damit endete mein Interesse an Marius. Er war eine Figur in einer obszönen Fiktion, die ich nach dem Muster sämtlicher obszönen Romane, die ich je gelesen hatte, entworfen hatte â und welcher Roman ist nicht obszön, aber das nur, wenn ich sein Bild vor Augen hatte. Sobald er aus meinem Blickfeld verschwand, blieb der Roman ungeschrieben. Und er wäre auch weiterhin ungeschrieben geblieben, wenn Marius nicht fünf oder sechs Jahre später â in der Zeit, in der ich Marisa völlig verfallen war â gänzlich unerwartet, aber doch passenderweise, mit einem Herzenswunsch wieder aufgetaucht wäre, wenn auch nicht gerade dort, wohin Herzenswünsche normale Menschen normalerweise führen, sondern bei Felix Quinn: Antiquarische Buchhandlung . Marius war eben genauso wenig normal wie ich.
Er bat uns, einige Bücher wiederzubeschaffen, die ihm persönlich viel bedeuteten und die wir vor einigen Jahren weiterverkauft hatten. So ungefähr. Nicht etwa jene Bücher, die uns an seinem Totenbett abgeschwatzt zu haben der Professor vorgeworfen hatte, sondern andere, die sich im Besitz der Witwe des Professors befunden hatten und die mitzunehmen, als sie mit ihrem Lover durchbrannte, sie keine Zeit gefunden hatte. Den Termin hatte er nicht mit mir gemacht, ja, es gab für ihn überhaupt keinen Grund, mich irgendwie mit der Buchhandlung in Verbindung zu bringen, doch Andrew, der um mein Interesse wusste â der alles im Gedächtnis behielt, sich an jedes Buch erinnerte, nach dem je gefragt worden war; jedes Buch, das wir je verkauft hatten; jedes Buch, das je geschrieben worden war â, teilte mir mit, dass Marius vorbeikommen wolle. Ich war in meinem Büro, als Marius den Laden betrat, und obwohl eine schwere Glasscheibe uns trennte und er sich sehr verändert hatte, erkannte ich ihn auf Anhieb. Er hielt sich anders, seine KörpergröÃe wirkte weniger herrisch, eher als ein Vorwand für Absonderung. Er hatte sich einen Schnurrbart stehen lassen, seelöwenhafte Auswüchse, die er wie ein schwedischer Abenteurer trug, als wollte er sich damit das ÃuÃere eines Menschen geben, der etwas zu verbergen hatte. In meinen Augen glich er nur noch mehr einem kleiderzerfetzenden Sadisten. Aus der Häufigkeit, mit der Andrew sich zu ihm vorbeugte, manchmal sogar so weit ging, seinen Pferdeschwanz zurückzustreichen und die Hand an die Ohrmuschel zu legen, schloss ich, dass Marius auÃerdem angefangen hatte zu nuscheln.
Er sah mich nicht, und wenn doch, hätte er sich nicht an mich erinnert. Ich war seiner Wahrnehmung nicht würdig, in keiner Hinsicht.
Obwohl er uns seinen Auftrag bereits schriftlich zugesandt hatte, galt es, ein Prozedere einzuhalten, bevor wir mit der Suche nach dem Gewünschten beginnen konnten. Felix Quinn: Antiquarische Buchhandlung drängt seine Kunden nicht, und wir werden auch nicht gerne von unseren Kunden gedrängt. Man kommt in die Buchhandlung, man sagt, was man will, man geht, und irgendwann bekommt man ein Päckchen von uns, oder man bekommt keins. Selbst wenn die gesuchten Bücher für alle sichtbar im Regal stehen, füllen wir einen Bestellschein aus und leiten eine offizielle Suche ein. Im Zeitalter von Amazon wissen unsere Kunden diese Tugenden zu schätzen. Marius hinterlieà seine Adresse. Aus purer Neugier â eine andere Interpretation würde sagen, aus selbstmörderischer Neugier â prüfte ich nach, wo er jetzt wohnte. Ganz sicher nicht mehr im feuchten Shropshire. Und auch damit hatte ich recht. Auf dem Land war kein Platz für so eine Blume des Bösen wie Marius. Allerdings hatte ich auch nicht damit gerechnet, dass er praktisch nach nebenan gezogen war, in das Umfeld meiner Ehe.
Im ersten Moment wurde mir ganz still ums Herz. Frieden? Der Frieden, den einem die Götter am Vorabend der sicheren Vernichtung schicken? Nur um mich zu beruhigen, dass ich noch nicht vernichtet war, trat ich auf die StraÃe hinaus und schaute in die Gesichter der Menschen, die ihren Geschäften nachgingen. Ausdruckslos, die meisten. Ohne solche Geheimnisse, wie ich sie in mir trug. Aber vielleicht dachten sie das Gleiche über mich. Man weià nie, was einem anderen still ums Herz weht.
Nach Ansicht der Elisabethaner ist das Schicksal eine Hure. Das ist mit Vorsicht zu genieÃen. Die Elisabethaner sahen in allem und jedem eine Hure. Sie begeisterten sich
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