Liebesdienste / Roman
Martin so ergehen würde. Ray empfand kurz eine unerwartete Zuneigung zu Martin. Er hatte ihm viel zu viel über sich erzählt. Alles war zu viel, sogar nichts war zu viel. Als Ray ins Four Clans zurückkehrte, um ihn nach der Pistole zu fragen, war Martin schon verschwunden. Er hätte ihn gern umgebracht, weil Martin sie geklaut hatte, aber andererseits hatte ihm der Mann das Leben gerettet, er war ihm also etwas schuldig. Leben um Leben.
Ein Pistole wäre hier zu auffällig und unnötig, weil er nur die Hand ausstrecken und einen Schalter umlegen musste. Er konnte den Mann im Grunde einfach abschalten. Gott wusste, woran er angeschlossen war, so wie es aussah, standen nur noch die Maschinen zwischen ihm und der Ewigkeit. Wahrscheinlich musste er nur der Natur ihren Lauf lassen, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Sagt man. Und außerdem wurde er dafür bezahlt, einen Job zu erledigen, und deswegen würde er den Job erledigen.
Es war nicht schwer gewesen, auf die Intensivstation zu gelangen. Die dicke Krankenschwester, die Nachtdienst hatte, fragte ihn, ob er ein naher Verwandter sei, und er setzte eine betrübte Miene auf und sagte: »Ich bin sein Sohn, Ewan. Ich bin gerade aus Südamerika zurückgekommen.« Und sie zog eine ebenso betrübte Miene und sagte: »Natürlich, ich bringe Sie zu Ihrem Dad.« Und er saß fürsorglich eine Weile bei »Dad«, als wäre er tatsächlich sein Sohn. »Du warst nicht leicht zu finden, Graham«, sagte er leise. Er hatte in der ganzen Stadt nach ihm gesucht. Sein Auftraggeber konnte sich nicht mehr mit ihm in Verbindung setzen, wenn eine Sache einmal am Laufen war. Ray wollte es so. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ein Anruf zu Beginn, ein Anruf am Ende.
Komisch, wieder im Krankenhaus zu sein. In der Notaufnahme war es laut und chaotisch gewesen, nicht wie hier. An Grahams Bett war es still, abgesehen vom Blinken und Piepen der Maschinen. Während er ihn gesucht hatte, hatte er an ihn als »Hatter« gedacht, aber so, wie er hier lag, hilflos wie ein Baby, schien der Mann ein bisschen Zuwendung zu verdienen. Er holte die Spritze aus der Innentasche seiner Jacke. Angefüllt mit nichts. Luft. Man brauchte Luft zum Leben, man betrachtete es nicht als etwas, was tötete. Die Luft würde in seine Vene wandern, sein Herz finden, den Pumpvorgang anhalten, den Blutfluss anhalten, das Herz anhalten. Graham töten. Es brauchte nur ganz wenig. Er hob die Decke von Grahams Füßen und fand die Vene in seinem Knöchel. »Das wird überhaupt nicht wehtun, Graham«, sagte er. Guter Junge, böser Junge. Guter Ray, böser Ray.
Er deckte die Füße wieder zu. Grahams Herz bliebe in ein paar Sekunden stehen, und hier würde die Hölle losbrechen, überall wären Krankenschwestern, sogar die dicke Schwester würde ihre breiten Hüften heldenmutig den Flur entlangschieben.
Zeit zu gehen. Er tätschelte Grahams zugedeckte Füße. »Gute Nacht, Graham, schlaf gut.«
Draußen schüttete es wieder einmal. Er rief seinen Auftraggeber an. Als sich niemand meldete, hinterließ er eine Nachricht auf der Mailbox.
»Glückwunsch, Mrs. Hatter«, sagte er. »Unser Werk ist vollbracht.«
D ank schulde ich Martin Auld, Malcolm R. Dixon (Stellvertretender Direktor der Polizeiaufsicht von Schottland), Russell Equi, Major Michael Keech, Sheriff Andrew Lothian, Dr. Doug Lyle und Dr. Anthony Toft, weil sie mir Dinge sagten, die sie wussten, ich aber nicht. Ich entschuldige mich, falls ich diese Informationen falsch verstanden oder, gelegentlich, absichtlich zweckentfremdet oder verzerrt habe.
Dank an David Robinson und Donald Ross vom
Scotsman
, an Reagan Arthur, Kim Witherspoon und Peter Strauss und an Little Brown, USA , und Transworld, Großbritannien.
Dank auch an David Lindgren, weil er versuchte, und in der Regel damit scheiterte, mir das Körperschaftsrecht zu erklären, und, wichtiger noch, weil er ein Anwalt ist, der zu Mittag isst.
Dank zudem an Alan Stalker und Stephen Cotton, die mich in schweren Zeiten gerettet haben.
Last, but not least Dank an den Schriftsteller Ray Allan, der mir großzügigerweise erlaubte, eine Geschichte aus seinem Leben zu stehlen.
Über Kate Atkinson
Kate Atkinson, 1951 geboren, studierte Literaturgeschichte in Dundee. Neben ihrer Arbeit in der Sozialbetreuung und als Teilzeitlehrerin begann sie zu schreiben. 1996 erhielt sie für ihren Roman »Familienalbum« den angesehenen Whitbread First Novel Award. Es folgten die Romane »Ein Sommernachtsspiel«, »Die
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