Liebesfluch
Blick an ihr entlanggleitet.
Sofort fühle ich mich neben ihrer zarten Seepferdchengestalt massig wie ein Zuchtbulle. Sie streckt mir ihre zierliche Hand entgegen, die in meiner verschwindet. Ich drücke sie fest und merke, dass sie trotzdem einen kräftigen Händedruck hat. Gut. Ich hasse warme Schweißhändchen, die wie nasses Toastbrot in der Hand liegen.
»Du musst Venus sein, herzlich willkommen bei uns. Ich hoffe, es wird dir gefallen, auch wenn es sehr einsam hier ist.«
Sie lächelt mich so freundlich an, dass ich den Eindruck gewinne, dass Stefan im Auto ganz schön übertrieben hat. Dafür, dass sie mich hier gar nicht haben wollte, ist sie sehr nett zu mir!
»Ich freue mich auch, euch kennenzulernen. Aber nennt mich doch bitte Blue, Venus ist ein schrecklicher Name.«
»Wie du willst, Blue. Du bist sicher sehr müde, komm mit, ich zeige dir dein Zimmer.«
Sie dreht sich um und geht über den rot gekachelten Flur die ebenfalls gekachelten, aber hellgrauen Treppen hinunter in den Keller. Na das kann ja richtig gemütlich werden – ein Zimmer im Keller! Widerwillig folge ich ihr nach unten, aber als sie dann die Tür öffnet, reiße ich beschämt und überrascht die Augen auf.
Ich stehe in einem riesengroßen Zimmer, die Wand zum Garten hin ist eine einzige Fensterfront mit einer großen Flügeltür.
Direkt vor den Fenstern steht ein großer weißer Schreibtisch mit einem chefmäßigen Lederdrehstuhl. Rechts befindet sich ein Bett mit weißem, verschnörkeltem Metallgestell, eine rosa-türkisfarbene Steppdecke ist über das Bettzeug gebreitet und es liegen ein paar geblümte Kissen darauf. Vom Kopfteil aus kann man direkt nach draußen schauen. Neben dem Bett steht ein runder Nachttisch aus weiß lackiertem Holz, auf dem ein Leselämpchen und ein Wecker stehen und einige Frauenzeitungen liegen. Links an der Wand ist ein eingebauter Kleiderschrank.
»Und hier ist dein Bad.« Anja führt mich zu einer Tür an der rechten Wand und öffnet sie. Dahinter verbirgt sich ein türkisblau gekacheltes Badezimmer, klein, aber mit geräumiger Dusche, Klo und Waschbecken.
»Das ist alles wunderschön«, quetsche ich hervor. Das war viel luxuriöser, als ich es zu träumen gewagt hatte.
»Das freut mich«, sagt sie. »Ich bin übrigens Anja.« Sie reicht mir wieder die Hand, ich nehme sie.
»Anja, auf gute Zusammenarbeit, ja?« Ich versuche, ihr dabei in die Augen zu schauen. Aber sie wendet den Kopf ab und starrt auf meine Koffer, die Stefan hier abgestellt hat, als wären sie ein Haufen Müll. Dann zieht sie ihre Schultern nach hinten, seufzt leise und mustert mich von oben bis unten.
»Hast du Hunger?«, fragt sie und ihre Mundwinkel verziehen sich dabei etwas abschätzig, als wollte sie sagen, so wie du aussiehst, hast du bestimmt Hunger, aber es wäre besser, wenn du nichts essen würdest.
Dieser Blick ärgert mich sehr, denn ich habe extra für den neuen Job zehn Kilo abgenommen und sehe zum ersten Mal in meinem Leben eher wie ein Cheerleader als wie ein Bulldozer aus. Aber neben ätherischen Frauen, die wirken, als würde der leiseste Windhauch sie vom Stuhl wehen, komme ich mir immer noch wie ein Walross vor. Und genau das ist auch der Grund dafür, warum ich meinen ersten Vornamen hasse. Wenn man Venus heißt, muss man mindestens wie eine Göttin aussehen, um nicht dauernd ausgelacht zu werden.
»Ja, ein Salat wäre toll oder irgendetwas Frisches.«
»Gut.« Ihre grashalmdünn gezupften Augenbrauen heben sich anerkennend. »Komm, ich zeige dir die Küche und das Haus.«
Ich weiß nicht so recht, ob ich Anja nett finden soll, aber ich beschließe, ihr und mir noch ein bisschen Zeit zu lassen, schließlich müssen wir ein Jahr lang miteinander klarkommen.
Wir gehen die Treppe wieder nach oben, wo eine stählerne Küche ohne jeden Schnickschnack in ein weißes Wohnzimmer übergeht. Die einzigen Farbkleckse sind ein paar rote Kissen und die Bilder an den Wänden.
Wow, ist das elegant. Ich bin wirklich beeindruckt. Unser Wohnzimmer in Vegas sieht aus wie das in King of Queens oder Alle lieben Jim oder Two an a half Men – ein gammliges Sofa beherrscht den Raum, zwei noch schäbigere Fernsehsessel und jede Menge Nippeskram. Da traut man sich wenigstens hinzusetzen und lümmelt auch gerne rum. Aber hier hätte ich einfach nur Angst, irgendwelche Flecken auf dem Sofa zu hinterlassen. Wie macht sie das nur mit den Kindern?
Anja deutet auf die edlen Freischwinger an dem riesigen Esstisch. »Setz dich
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