Liebesgruesse aus Deutschland
auch gleich richtig baden gehen. Die meisten Schwimmbäder in Münster hatten allerdings gerade einen freien Tag, wurden renoviert oder waren einfach zu. Zwei Schwimmbäder waren jedoch offen. Eine Schwimmhalle im Bezirk Kinderhaus und das Hallenbad Ost.
»Das Kinderhaus würde ich Ihnen nicht empfehlen«, meinte der Taxifahrer, »das Kinderhaus ist in Münster wie Harlem. Verstehen Sie – Harlem?«, fragte er nach.
»Ja«, sagte ich, »Harlem verstehe ich gut.«
»Viele Menschen aus verschiedenen Kulturen, zusammengeworfen in einem Getto, wenig Arbeit, wenig Geld, wenig Bildung, wenig Zukunft. Hoffnungslosigkeit. Verstehen Sie Hoffnungslosigkeit?«, fragte er.
Wir fuhren also zum Hallenbad Ost.
»Bei der Verleihung der Medaille spielte wahrscheinlich das Wetter keine Rolle«, murmelte ich.
»Nein«, lachte der Fahrer, »das Wetter spielte keine Rolle. Aber das Wetter ist nicht das Wichtigste, und Münster ist schön. Nur die Menschen hier sind komisch. Die Menschen hier haben Geld, aber sie lachen nicht, selbst wenn die Sonne scheint, freuen sie sich nicht.«
»Das ist klar«, sagte ich, »je mehr man hat, desto größer ist die Angst, alles zu verlieren. Wer auf einem hohen Bett schläft, kann runterfallen, wer auf dem Boden schläft, nicht mehr. Die Menschen in Deutschland haben Existenzangst«, fügte ich hinzu.
»Genau dieses Wort!«, bestätigte der Taxifahrer. »In Marokko haben wir fast immer gutes Wetter, es regnet nie, die Menschen sind aber trotzdem unglücklich und haben die gleiche Angst, obwohl sie doch viel ärmer sind, viel weniger besitzen und sich entspannen könnten. Nein, arm in der Sonne macht auch nicht glücklich«, schüttelte der Taxifahrer den Kopf.
Das Hallenbad Ost sah schon von außen heiß aus und war es drinnen auch tatsächlich. Bei uns in Ostberlin hatte die Schwimmhalle »Ernst Thälmann« ähnlich ausgesehen, bevor sie renoviert und auf westlichen Standard gebracht wurde. Ich habe damals diese Renovierung als Vergangenheitsverlust empfunden, der ganze spätsozialistische Schick verschwand plötzlich, er löste sich in Luft auf. Inzwischen weiß man aber dank der Wissenschaft, dass sich nichts einfach so in Luft auflöst, wir leben vielmehr in einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt. Und so ist wohl der
spätsozialistische Schick des Ernst-Thälmann-Bades nach Münster abgewandert und schmückt nun dort das Hallenbad Ost.
Draußen vor dem Bad saß eine verlorene Schulklasse ohne Lehrer. Im Inneren gab es wenig Wasser und viel Mensch. Mindestens drei weitere Schulklassen sprangen einander über die Köpfe, stark tätowierte Jungs in langen Badehosen standen an den Ecken und hielten Wache, und sportliche Rentner trainierten zu fünft Synchronschwimmen auf dem Rücken. In der Mitte des Bades hing eine Leine, mit der sogenannte Nichtschwimmer vor dem tiefen Wasser geschützt werden sollten und die nebenbei jedes Schwimmen verhinderte. Es war ein sehr lustiges Bad.
Als ich nach zwei Stunden wieder herauskam, regnete es noch immer. Auf dem Rückweg erwischte ich einen anderen Taxifahrer, diesmal einen gebürtigen Münsteraner.
»Wussten Sie, dass Münster eine Auszeichnung bekommen hat – als lebenswerteste Stadt der Welt?«, fragte ich ihn.
»Ja, aber das war vor vier Jahren, und die Auszeichnung galt nur für Städte mit weniger als vierhunderttausend Einwohnern«, entgegnete mein neuer Taxifahrer.
»Ich wette, es hat auch damals in Münster geregnet, aber die Jury hat den Wetterfaktor nicht berücksichtigt«, setzte ich mein Lieblingsthema fort.
»Sie hatten damals andere Kriterien«, erzählte der Fahrer. »Zum einen die Grünflächen, Münster ist eine sehr grüne Stadt, man kann hier viel mit Kindern unternehmen,
und man ist ständig von der Natur umgeben. Das Fahrradwegnetz ist sehr gut ausgebaut, man kann überall mit dem Fahrrad fahren, und der historische Kern im Stadtzentrum ist aufwendig restauriert, sehr sehenswürdig, waren Sie schon da? Aber wenn Sie mich fragen, so lebenswert ist die Stadt nicht, ich habe schon lebenswertere gesehen. Zum Beispiel in Marokko. Ich bin gerade mit meiner Freundin dort gewesen, wir waren zehn Wochen mit einem Wohnmobil unterwegs, ein phantastisches Land! Paradiesische Landschaften, nette, freundliche Menschen, und Fremden gegenüber total offen, obwohl sie doch Moslems sind. Natürlich wollen auch sie ihr Geschäft mit den Touristen machen, aber sie tun es bei Weitem nicht so aufdringlich wie die Werbung im deutschen
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