Liebesnächte in der Taiga
herangeschoben, drei Offiziere der Roten Armee warteten an der Treppe auf einen Fahrgast, ein Elektrokarren mit zwei Flachwagen brummte über die Piste, um das Gepäck aufzunehmen. An der Tür zum Zollraum stand Marfa Babkinskaja und musterte die in Gruppen herankommenden Fluggäste.
Das ist er, dachte sie, als sie einen mittelgroßen Mann mit braunem Haar und Goldbrille auf sich zukommen sah. In der Hand trug er sein Flugticket und eine schwarze, lederne Aktentasche. Er sieht eigentlich typisch deutsch aus, stellte Marfa mit Enttäuschung fest.
»Gospodin Heller?« fragte sie, als Franz Heller an ihr vorbeiging. Heller zuckte zusammen und wandte den Kopf.
»Ja …«, antwortete er gedehnt.
»Ich bin beauftragt, Sie in Moskau zu betreuen.« Marfas Deutsch war klar und fast ohne russische Härte. Sie war die Beste im Deutschunterricht gewesen, mit einem Diplom und einem Buchgeschenk für gute Leistungen. »Ich heiße Marfa Babkinskaja und bin Hosteß bei Intourist.«
»Sehr erfreut.« Heller setzte seine Aktentasche neben sich ab und gab Marfa die Hand. Als er sie drückte, sah er das Aufblitzen ihrer Augen. Ganz kurz nur, staunend und mißtrauisch.
Ein Händedruck wie ein Boxer, dachte sie. Er hat mehr Kraft in der Hand als etwa Leutnant Fettisow Gedanken im Hirn. Man vermutet es gar nicht hinter diesem saloppen Aufzug.
»Ich bin allerdings nicht Reisender von Intourist«, stellte Heller klar, als Marfa ihm das Ticket aus der Hand nahm. »Ich bin eingeladen von der Sowchose Lenin III und soll die Seidenraupenzucht bewundern.«
»Wir betreuen jeden, Gospodin«, antwortete Marfa und lächelte wieder wie ein braves Töchterchen. »Ein Fremder ist in Moskau wie ein Säugling ohne Mama.« Ihr Lächeln wurde strahlender. »Ich habe den Auftrag, für Sie wie Mamuschka zu sorgen. Was Sie auch wünschen – Marfa wird es arrangieren, wenn es möglich ist.«
»Ich hätte es mir nicht träumen lassen, noch einmal eine so entzückende Mama zu bekommen.« Franz Heller blickte zurück zu dem Elektrokarren mit den Flachwagen. Ein Haufen Koffer schnurrte durch ein Tor in die Gepäckabfertigung. Marfa Babkinskaja berührte ihn leicht am Arm.
»Ich werde alles für Sie erledigen. Paß, Zollkontrolle, die vielen Formalitäten. Sie haben gar keine Mühe. Sie sollen Moskau und unser Land in bester Erinnerung behalten, wenn Sie wieder zurückkehren. Darf ich Ihren Paß haben?«
Franz Heller nahm die Brieftasche aus dem Anzug, zog den Paß heraus und gab ihn Marfa. Sie blätterte ihn auf, sah das Bild und verzog das Gesicht mit den etwas schräg stehenden dunkelbraunen Augen.
»Nix guter Fotograf«, sagte sie und klappte den Paß wieder zu.
»Es ist ein altes Bild. Auch der Paß ist alt. Zehn Jahre. In zehn Jahren verändert man sich ein wenig … man schrumpft in die Erde.«
Aber seine Muskeln sind wie Stahl, dachte Marfa Babkinskaja. Sie nahm die Aktentasche auf und ging voraus zu dem Beamten, der die Pässe kontrollierte und die Eintragungen studierte. Plötzlich empfand sie Sympathie für diesen Deutschen. Nur wußte sie nicht zu sagen, warum. Er ist doppelt so alt wie ich, dachte sie. Er ist ein Bourgeois! Er kommt aus einem kapitalistischen Land, das wieder voller Revanchismus ist. Er gehört zu jenem Volk, das immer Unglück über Mütterchen Rußland gebracht hat. Er ist – sieht man es so – ein Feind! Aber sieht man es anders … nicht so politisch wie Oberst Karpuschin … dann ist er doch bloß ein Mensch von 44 Jahren, etwas kurzsichtig, höflich und nett, bescheiden und wohlerzogen. Nicht ein einzigesmal hat er in meinen Ausschnitt geguckt, und der ist – so sagt Leutnant Fettisow – so tief wie das Flußbett der Wolga.
»Ich wohne im Hotel Moskwa«, erklärte Heller, als sie in unerklärlich kurzer Zeit Paßkontrolle und Zoll passiert hatten.
»Wir nehmen ein Taxi, Gospodin.« Marfa Babkinskaja winkte mit beiden Händen. Eine Limousine, an den Seiten mit einem Schachbrettmuster bemalt, war plötzlich da. Der Chauffeur riß die Türen auf und brüllte auf russisch: »Willkommen, Genossen!« Dann hieb er den ersten Gang hinein, das Getriebe schrie auf, und der Wagen rollte mit einem wilden Ruck an.
»Moskwa …«, sagte Marfa kurz. Sie lehnte sich zurück, zog den Plisseerock über die Knie und wies mit dem Zeigefinger nach draußen.
»Moskau ist die schönste Stadt der Welt«, sagte sie stolz. »Sie werden es noch sehen, Gospodin. Noch niemand ist wieder weggefahren von Moskau, ohne ein Stück seines
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