Liebesvergessen (German Edition)
meine Bettkante.
„Penny! Schatz! Wir kennen uns jetzt seit fast dreißig Jahren. Wir sind schon zusammen zur Schule gegangen“, zeigte sie sich nun bestürzt.
„Kannst du dich denn überhaupt gar kein bisschen mehr an mich erinnern?“ Hilflos und besorgt blicke sie mir offen ins Gesicht. Ich schüttelte bedauernd den Kopf.
„Schön wär‘s, aber leider nein, nichts. Ich habe wohl retrograde Amnesie“, entgegnete ich.
„Retrograde Amnesie“, wiederholte Luisa Klein vehement nickend aus der Nachbarkoje. Oh Gott, die hat doch bestimmt was Neurologisches. Echolalie! Ich wusste, dass Echolalie eine Krankheit war, bei der Patienten ständig das wiederholten, was andere sprachen. Was bin ich schlau?!
„Was machen wir denn jetzt mit dir? Als erstes müssen wir Vera anrufen und vielleicht deine Mutter“, überlegte Isa laut. „Nein, lieber nicht deine Mutter. Die geht dir nur wieder auf den Zeiger. Außerdem macht sie gerade eine Weltreise. Wer weiß, wo sie steckt. Vielleicht im Kongo. Nein, hoffentlich im Kongo!“ Ich beobachtete Isa dabei, wie sie versuchte, das auszusprechen, was ich - ihrer Meinung nach - für gewöhnlich dachte.
„Und vielleicht sollten wir dem Arschloch auch Bescheid sagen? Der sorgt sich bestimmt auch schon um dich. Ich nehme an, er weiß noch gar nichts von dem Unfall, oder?“ Isa forschte mit offenem Blick. Ich schüttelte den Kopf. Mir gefiel, dass sie die Initiative ergriff. Irgendwie strahlte sie Zuversicht und Sicherheit aus. Auch mochte ich, wie sie meine Hand hielt, auch wenn es sich fremd anfühlte. Mir schossen Tränen der Erleichterung in die Augen. Ich wusste weder, wer Vera war, noch wer das Arschloch und schon gar nicht, ob meine Mutter gerade im Kongo schwamm. Jeder meiner Atemzüge schmerzte und außerdem musste ich dringend pinkeln. Isabel nahm ein Handy aus ihrer Handtasche und wählte geschäftig eine Nummer.
„Vera? Ich bin‘s Isa, du musst sofort kommen. Penny liegt im Krankenhaus und erkennt mich nicht mehr. Wir sind im Krankenhaus am Westend in Wilmersdorf, Station 13. Beeil dich! Hopp Hopp!“ Sie ließ das Telefon zurück in ihre Handtasche gleiten.
Irgendwie gefiel mir ihr Befehlston. Sie würde machen, dass alles gut wird. Dessen war ich mir gerade ziemlich sicher. Ich wischte meine Tränen an der Bettdecke ab. Meine Stirnhöhlen fühlten sich an, als würden sie jeden Moment bersten.
„Nein, Penny-Schätzchen, nicht weinen, das kriegen wir schon wieder hin. Vera ist unterwegs und das Arschloch werden wir auch noch anrufen. Mach dir bloß keine Gedanken. Alles wird gut“, tätschelte sie meine Hand. Isa reichte mir sinnloserweise ein Taschentuch. Die Tampons in meiner Nase saugten sich in diesem Moment sicher derart voll, dass man sie nie wieder aus meinen Nüstern befreien würde können. Es fehlten ja auch die blauen Bändchen. Das Weinen strengte mich an und mir wurde wieder schwindlig. Ich ließ resigniert meinen Kopf zurück ins Kissen sinken. Da meine Blase zu platzen drohte, fasste ich mir ein Herz.
„Ich müsste dringend mal pipi“, wimmerte ich leise.
Isa trat wieder näher und betätigte den Schwesternruf. Einen Moment später betrat Schwester Agnes übellaunig das Zimmer. Man sah ihr direkt an, dass sie gedanklich mit nichts anderem liebäugelte, als ihrem Feierabend und der dazu passenden Berliner Weißen (vorzugsweise mit Schuss).
„Penny muss mal pipi, mit Aufstehen ist ja wohl nicht, oder? Also schleunigst eine Bettpfanne für meine Freundin!“, orderte Isa forsch.
Agnes verschwand zielstrebig mit den Worten: „ Ja, sind wir hier denn im Bundeswehrkrankenhaus oder was?“, war dennoch derart beeindruckt, dass sie innerhalb von dreißig Sekunden mit einer Bettpfanne Gewehr bei Fuß stand. Ich zog mich so gut es ging an einem Galgen hoch und Agnes und Isa hievten mich gemeinsam auf die Pfanne. Meine Rippen schmerzten und ich dachte, ich würde ohnmächtig. Agnes verschwand. Isa blickte erwartungsvoll auf mich hinab.
„Das kannst du vergessen. Du kannst nicht pinkeln, wenn dir jemand dabei zusieht, nie und nimmer! Das ist ein Geburtsfehler ... Kack- und Urinsperre nennst du das.“ Isa verschränkte mit sachkundiger Miene die Arme vor der Brust, während ich zu ihrer Überraschung meiner Blase freien Lauf ließ. Isa zog pikiert eine Augenbraue nach oben und hüstelte gespielt: „Schön, Frau Baronin von Lügenhausen. Deine Knochenbrüche sind wahrscheinlich auch nur simuliert.“ So ein Blödsinn! Kack- und Urinsperre!
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