Liebling verzweifelt gesucht
zu hören. »Das kann doch wohl nicht wahr sein«, sagte Herr D. entsetzt. »Sieh nur, der Hund ist hier drunter.« Vorsichtig entfernte das Ehepaar die Äste von der Plane und schlug diese dann zurück. Darunter kam ein dünner Kleidersack zum Vorschein. Darin steckte – unglaublich, aber wahr – ein kleiner graumelierter Shih-Tzu-Mischling. Über seinen Kopf war eine Plastiktüte gezogen, die am Hals mit einer Schnur zugebunden war. Das Ehepaar D. war fassungslos. Sie befreiten den kleinen Hund aus seinem grausamen Gefängnis und Frau D. nahm ihn auf ihren Arm. Er schmiegte sich an sie. Er war froh, endlich wieder richtig Luft zu bekommen.
»Wenn wir den Kleinen nicht gefunden hätten, wäre er qualvoll erstickt«, sagte Frau D. betroffen. »Es ist nicht zu fassen. Wer tut denn so etwas?«
»Es ist wirklich ungeheuerlich«, stimmte ihr Mann zu. »Derjenige, der das getan hat, wollte den kleinen Kerl jedenfalls umbringen. So viel ist sicher.«
Die D.s alarmierten sofort per Handy die Polizei. Ihnen war klar, dass jemand hier eine Straftat begangen hatte, die angezeigt werden musste. Die Polizei traf kurze Zeit später am Tatort ein, nahm den Fall auf und fotografierte den Fundort. Danach brachten die Beamten den Hund ins Tierheim. Da es schon geschlossen hatte, kam er zunächst in die Nachtaufnahme.
Als ich am nächsten Morgen die Einlieferungsscheine durchging und mir die Neuzugänge ansah, war ich schockiert darüber, was dem Shih-Tzu-Mischling widerfahren war. Ich habe bei meiner Arbeit schon sehr viel erlebt und weiß, welche Grausamkeiten Menschen ihren Tieren antun können, aber ich bin jedes Mal aufs Neue entsetzt, wenn ich einen solchen Fall habe.
Umgehend setzte ich mich mit Frau D. sowie dem Polizisten in Verbindung, der den Fall bearbeitete, und ließ mir noch einmal genau schildern, was vorgefallen war. Dann informierte ich meine Kollegen von der Pressestelle des Tierheims und bat sie, die Geschichte an die Zeitungen weiterzugeben und einen Aufruf zu starten. Darin baten wir die Zeitungsleser um Mithilfe bei der Aufklärung dieses Falls.
Auf die Zeitungsberichte hin riefen sehr viele Leser an, die Pinocchio kannten und wussten, wo er hingehörte. Die Besitzer waren gerade im Urlaub und hatten sich des Hundes offenbar vor ihrer Abreise noch skrupellos »entledigen« wollen. Der Tierschutzverein sowie die Polizei erstatteten nun Anzeige gegen die Besitzer.
Ein paar Tage später kamen zwei erwachsene Kinder der Besitzer zu mir ins Tierheim und wollten den Hund abholen. Offensichtlich wollten sie ihre Eltern schützen, die nach wie vor im Urlaub waren. Wahrscheinlich dachten sie, wenn sie den Hund mitnähmen, sei der Fall damit erledigt. Ich erklärte ihnen, dass der Hund für sie gesperrt sei und die Behörden den Fall nun weiterverfolgten. Sie verstrickten sich in Widersprüche und konnten mir natürlich keine plausible Erklärung für das Verhalten ihrer Eltern liefern. Als sie merkten, dass wir ihnen den Hund definitiv nicht aushändigen würden, zogen sie missmutig wieder von dannen. Noch am gleichen Tag schickte ich einen Brief an die Besitzer und forderte sie darin zu einer schriftlichen Freigabe ihres Hundes Pinocchio auf. So war er offiziell vermittelbar und wir konnten ein neues gutes Zuhause für ihn suchen. Es dauerte nicht lange, bis ich die schriftliche Freigabe bekam. Ich nehme an, die Besitzer dachten, damit seien sie endgültig aus dem Schneider. Weit gefehlt! Es dauert zwar immer sehr lange, bis es nach einer Anzeige zu einem eventuellen Verfahren kommt, aber bei solch drastischen Fällen setzen wir uns als Tierschutzverein sehr dafür ein, dass die Taten nicht in Vergessenheit geraten oder ungeahndet bleiben. Im Fall von Pinocchio organisierten wir eine Mahnwache in der Nähe des Hauses seiner ehemaligen Besitzer. Wir demonstrierten nicht direkt vor dem Haus, da wir – wie bei solchen Veranstaltungen üblich – vom Kreisverwaltungsreferat die Auflage bekamen, 200 Meter Abstand zu halten. Viele Tierfreunde kamen und unterstütztenuns bei dieser Aktion. Sie alle wollten auf diesen extremen Fall von Tierquälerei aufmerksam machen.
Pinocchio, tz vom 8. Juni 2012
Pinocchio selbst hatte Glück im Unglück. Er war körperlich unversehrt geblieben und konnte aufgrund der großen Aufmerksamkeit, die ihm durch die Zeitungsberichte zuteil wurde, rasch an einen netten Herrn vermittelt werden, einen Frührentner mit einem Garten, der viel Zeit für den kleinen Shih-Tzu hat und ihn bestens
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