Lied aus der Vergangenheit
Ein Schwirren von Aufregung. Händeklatschen, wie von auffliegenden Vögeln.
Was hatte er zu ihnen gesagt? Ich weiß es nicht mehr.
Ich verbrachte den Rest des Vormittags und den größten Teil des Nachmittags damit, zu suchen. Mein Suchen war zwangsläufig ebenso langsam wie mühevoll. Als Babagaleh von der Moschee zurückkam, fragte ich ihn.
»Wo sind meine Notizhefte?«
Seine Antwort war ein ausdrucksloser Blick, wie es denn überhaupt sein Vorgehen, sein erster Instinkt war, jegliches Wissen, jegliches Indiz für das Stattfinden geistiger Aktivität zu verheimlichen, seine Miene in eine glatte Felswand zu verwandeln, an der keine Anklage Halt fand, ehe er nicht genau wusste, worauf meine Frage hinauslief. Er verließ das Zimmer und kehrte mit einem Pappkarton mit dem Aufdruck Milo Milk zurück.
»Wo waren die? Warum hast du sie weggeräumt?«
»Abstellkammer, Herr.« Er sah mich an, ein Blick lauterer Unschuld.
»Auf den Schreibtisch, bitte.« Ich konnte es mir nicht mehr erlauben, in Hitze zu geraten. Das wusste ich. Babagaleh wusste es ebenfalls.
In dieser Nacht blieb ich lange auf und sah meine Hefte durch. Es gab keinen Strom; Babagaleh zündete zwei Kerzen an, und obwohl es meine Augen anstrengte und die Dämpfe des Wachses meiner Brust nicht guttaten, las ich weiter. Die Hefte hatten überlebt, die Gummibänder, die sie zusammenhielten, zerfielen allerdings in meinen Händen. Ein paar Seiten fehlten, andere waren durch das Werk von Silberfischen und Termiten wie mit einem Gittermuster versehen, hier und da ein Säckchen ausgetrockneter Eier, Fäden und Gespinste unbekannter Kerfe. Die Tinte meines Füllfederhalters war auf den Seiten zu einem verhaltenen Grau ausgeblichen. Aber ja, unversehrt. Mehr oder weniger.
Es waren keine Tagebücher. Nur Notizen, die ich mir als Gedächtnisstütze gemacht hatte. Gedanken zu einer anstehenden Vorlesung. Der Titel eines Buches oder Aufsatzes. Listen von zu erledigenden Dingen.
25 . November 1968 . Zwei Monate vor dem Fakultätsfrauendinner. Die Ereignisse des Tages, in meiner eigenen Handschrift. Stichwortartiges Protokoll der Versammlung, seiner Ansprache an die Studenten. Nichts zu deren Inhalt.
Ich erinnerte mich, in meinem Bericht für den Dekan seine Ansprache erwähnt zu haben.
Julius Kamara. Als ich eines Nachmittags an meiner Vorlesung arbeitete, sah ich ihn zufällig von meinem Fenster aus. Ein charakteristischer Gang: geschmeidige, lange Schritte, eine Hand in der Hosentasche. Ich legte den Füller hin, um ihn besser beobachten zu können. Er kürzte über die Ecke des Rasens ab, bog nach rechts und stieß mit beiden Händen die Doppeltür des Instituts für Maschinenbau auf.
Als ich ihn das nächste Mal sah, war ich auf dem Weg nach Haus. Ein Donnerstag; ich ging über den Campus, als ich ihn ein Stück vor mir sah. Ein, zwei Minuten lang behielt ich den Abstand hinter ihm bei. Ein paar Studenten, die auf den Stufen vor der Aula gesessen hatten, riefen ihm etwas zu und standen auf, klopften sich den Hosenboden ab und sammelten ihre Bücher auf. Er blieb stehen, wartete auf sie. Ich ging unbemerkt an ihnen vorbei.
Direkt außerhalb des Universitätsgeländes parkte ein weißer Volkswagen Variant mit laufendem Motor. Sie saß auf dem Fahrersitz, den Ellbogen auf den Rahmen des offenen Fensters gestützt. Sie trug ein ärmelloses Kleid aus heller Baumwolle, um ihr Haar war ein großes orangefarbenes Kopftuch gewickelt. Von da aus, wo sie saß, hätte sie mich in den Spiegeln sehen können, doch sie tat es nicht. Ich verlangsamte meinen Schritt und näherte mich dem Wagen.
»Guten Abend.«
Sie fuhr, aus ihren Gedanken gerissen, zusammen.
»Hallo«, erwiderte sie unter Aufbietung eines hinreichenden Maßes an Höflichkeit, vom allerknappsten Lächeln begleitet. Was Frauen eben so tun, wenn sie sich einem Mann gegenübersehen, den sie nicht wiedererkennen, und weder ermutigend noch beleidigend wirken möchten.
»Das Fakultätsfrauendinner«, sagte ich. »Elias Cole.«
»Natürlich«, und sie schenkte mir ein blasses Lächeln.
»Ich soll Ihnen von Julius ausrichten, dass er aufgehalten wurde, aber gleich da sein wird.«
»Danke.« Und sie lächelte wieder, diesmal herzlicher.
»Ich fürchte, ich habe Ihren Namen …«
»Oh«, sagte sie, als sie verstand, was ich meinte, und tippte sich auf die Brust. »Saffia.«
Ich ging weiter.
»Danke«, rief sie mir noch einmal nach. Ich quittierte dies mit einer bescheidenen Handbewegung.
Minuten
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