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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Freitag. Babagaleh würde in der Moschee sein. Den ganzen Tag niemand da, um mir zu helfen.
    »Schön, schön«, sagte ich. »Sieh nur zu, dass du gleich zurückkommst. Keine Zeit vergeuden mit dem ganzen congosa hinterher!«
    Keine Antwort, was bedeutete, dass er beabsichtigte zu tun, was ihm passte. Er goss das Wasser in das Waschbecken und stellte den Eimer hin, kam und machte an mir herum wie eine Schmeißfliege. Ich scheuchte ihn mit einer Handbewegung fort. Nachdem er gegangen war, atmete ich tief ein, so tief, wie meine Lungen es gestatteten, und stemmte mich mithilfe des Handtuchhalters hoch. Vier Schritte bis zum Waschtisch. Ich stützte mich mit beiden Händen auf den Rand des Beckens, bis ich sicher auf den Füßen stand, und starrte in den Spiegel. Die bleichen Haare an meinem Kinn verliehen meinem Gesicht einen aschgrauen Schimmer. Ich lehnte mich vor und zog erst das eine, dann das andere Augenlid herunter. Meine Augäpfel waren gelb, mit Rot durchschossen. Herrliche Farben bei einem Sonnenuntergang, vielleicht.
    Den Abend davor hatte Babagaleh, wie an anderen Abenden, die Kissen hinter mir geordnet. Mittlerweile war ich gezwungen, praktisch aufrecht zu schlafen. Ich hatte dagelegen, in die Schwärze gestarrt und dem Knarren meiner verhärteten Lungen gelauscht, der Luft, die durch die Röhren pfiff, wie bei einer verrosteten Maschine.
    Ich nahm meinen Rasierpinsel, benetzte die Borsten und schäumte mir das Gesicht mit Seife ein. Das Rasiermesser war nicht eben scharf und rupfte an den Haaren, zog sie aus den schlaffen Hautfalten. Wo die Furchen besonders tief waren, glitt das Rasiermesser an den nassen Haaren ab. Ich steckte mir die Zunge in die Backe und zog mit der linken Hand die Haut straff. Als ich fertig war, spritzte ich mir das Wasser aus dem Becken ins Gesicht. Es war noch heiß; ich schwelgte in dem Gefühl. Anschließend blickte ich wieder in den Spiegel. Aus mehreren kleinen Schnitten quoll Blut hervor. Im Lauf der Jahre war meine Haut dünner geworden. Sie hing unter meinen Augen, unter meiner Kinnlade, schob sich über die Knochen meines Gesichts. Ich drückte Zahnpasta auf die Zahnbürste und nahm meine Zähne in Angriff. Blut auf den Borsten. Mein Zahnfleisch war verdorrt, wie eine Nacktschnecke in der Mittagssonne. Als ich fertig war, spülte ich mir den Mund aus und spie ins Waschbecken. Dann zog ich den Stöpsel heraus und sah zu, wie die Zahnpasta, der blutfleckige Schaum, die Barthaare und das Wasser wie ebenso viele verlorene Jahre durch den Abfluss strudelten.
    Als Babagaleh vom Markt zurückkehrte, saß ich auf dem ungemachten Bett und mühte mich in meine Kleider hinein. Die Anstrengung, mich anzuziehen, hatte einen Hustenanfall ausgelöst, dessen Geräusch ihn offenbar an meine Zimmertür geführt hatte. Wortlos stellte er das Tablett mit meiner Medizin, einer Kanne Wasser und einem Glas ab, goss mir etwas Wasser ein und half mir, ein paar Schlucke zu trinken. Allmählich ließ der Husten nach. Dann saß ich reglos da und überließ mich seiner Fürsorge, wie ein Kind oder ein Kretin. Er befreite meinen linken Arm, der sich im Ärmel verfangen hatte, und knöpfte mir dann die Manschetten zu. Ich stieß seine Hände fort, bestand darauf, mir die Hemdbrust selbst zuzuknöpfen. Er bückte sich und rollte mir die Socken über die Füße, drückte sie in meine Schuhe hinein und band die Schnürsenkel zu.
    Gestärktes weißes Hemd. Schwarze Hose. Anständiges Schuhwerk. Ich könnte unrasiert, in einem fleckigen Pyjama herumschlurfen, wie mein Nachbar von gegenüber. Überall in der Stadt sieht man sie. Auf ihren Balkonen in sich zusammengesackt, inmitten der Autoabgase, die Augen ins Leere gerichtet, von einer immer dickeren Schicht Straßenstaub bedeckt. Die lebenden Toten.
    Als ich das Zimmer verließ, sah ich mich flüchtig im Spiegel der Anrichte. Ein Strohmann im Halbdunkel. Hemd und Hose bauschten sich über und unter meinem Gürtel. Jede Woche zog ich ihn um ein Loch enger. Ein verschmierter Blutfleck am Hemdkragen. Nicht zu ändern. Ich konnte die Anstrengung nicht auf mich nehmen, mich noch einmal umzuziehen. Ich erwartete keinen Besuch.
    Babagaleh kam, um mir zu sagen, dass er ging. Er war für die Moschee gekleidet, in eine reinweiße Dschellaba, Ledersandalen und einen tiefblauen bestickten runden Hut. Mir kam, nicht zum ersten Mal, der Gedanke, um wie viel leichter das Leben wäre, wenn man sich so anziehen könnte. Jeden Tag erfüllte Babagaleh seine einfachen

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