Lied für eine geliebte Frau
Schäkereien ins Ohr, die andere erfunden hatten. Sie sah mich nicht erröten. Die Kerzen halfen tätig mit: Offensichtlich aus Mitleid mit mir flackerte ihr Licht. Ich denke, ich habe sie letztlich überzeugt. Ja, Sex würde genug Raum in unserer Liebe einnehmen. Wir konnten loslegen.
Wie viel Zeit seit den Tagen bei Maître Albert vergangen ist!
Heute trennt uns von jener Zeit ein Meer, das noch viel gröÃer und tiefer ist als die graue See, die sich vor uns leicht kräuselt. So viel Glück und so viele Tränen.
«Und wie geht es dir mit meiner Nachfolgerin?»
Ich traue mich nicht, ich schweige.
«Wie wäre es, wenn du anfängst? Ich weià nicht, ob ich noch lange bleiben kann.»
Ihre Stimme ist fast so blass wie das Licht.
«Ich komme mir lächerlich vor.»
«Irgendetwas sagt mir, dass du es tatsächlich bist.»
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. Ich erzähle ihr von meinem Unbehagen, meiner Raserei. Kaum sitzt I. am Tisch neben einem Mann, beginnt sie, mit ihm zu flirten. Wer ist I.? Du weiÃt schon, diese tolle Frau, mit der mich meine Freunde gerade bekannt gemacht haben. Und dann rückt der umgarnte Mann natürlich näher, ist ja logisch, und wendet sich ihr zu. Und genau in diesem Augenblick rutscht ihr, wie zufällig, die Jacke von der Schulter. Und sie sitzt mit nackten Armen neben ihm.
«Wie schön! Und nach dem Essen verschwindet sie mit ihm?»
«Natürlich nicht!»
«Was dann?»
Sie lacht. Sie lacht lange, aber ihr Lachen verliert dabei an Fröhlichkeit. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich fürchte, sie könnte weggehen.
«Ich kann mich erinnern, dass du bei mir heiterer warst. Bestimmt hast du mich weniger geliebt.»
«Ich hatte mehr Vertrauen.»
«Was brauchst du, um zu lieben, ich meine, um einenStänder zu haben, Vertrauen oder Angst? Heiterkeit, Sicherheit oder Eifersucht?»
Die Ebbe ist da, die Möwen spazieren auf den Algenteppichen umher.
«Hast du Schluss gemacht?»
Ich muss mich zu ihr hinabbeugen. Ihre Stimme erlischt. Ich habe gerade noch Zeit, den Schwerenöter zu erwähnen. Diesmal höre ich sie lachen, ihr Lachen von früher, dieses Lied, das so gut zu ihren blauen Augen passte.
«Ein Schwerenöter, mein armer Freund? Was willst du damit sagen? Ein alter Liebhaber, der sie gevögelt hat? Aber du, du hast mich doch auch gevögelt. Du warst genauso ein Schwerenöter. Was hält dich zurück? Liebst du sie weniger als mich?»
Dieser Gedanke belustigt sie offensichtlich, doch die Heiterkeit erschöpft sie.
Wieder legt sich ihre Hand auf meine Schulter. Als sie noch lebte, legte sie ihre Hand immer ganz, ganz sanft auf meine Schulter, um mich zu beruhigen, wenn ich mich aufregte.
«Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut. Bald werdet ihr darüber lachen. Bald werdet ihr nur noch Erinnerungen haben. Erinnerungen sind Gespenster, die die Waffen gestreckt haben.»
Wie vorauszusehen war, fühle ich mich lächerlich, ich würde gerne aufhören, doch eine Kraft zwingt mich weiterzureden, es ist ihre Kraft, ihre wohlwollende Neugier, vor der ich niemals etwas verbergen konnte. Ich erzähle ihr von meinen schrecklichen Erlebnissen, von meinem Unvermögen.
«Mein armer Freund â¦Â»
Ich spreche, ich unterhalte mich mit ihr wie mit einer Lebenden.
Dazu muss man wissen, dass wir beide, sie und ich, so ziemlich alle Orte und viele sonderbare Praktiken ausprobiert haben. Ich sehe uns vor unzähligen Türen. Ich höre, wie ich stammle: «Meinst du?» Ich höre sie antworten: «Na klar.» Und ich drücke auf die Klingel.
Im Grunde hat sich durch ihren Tod nichts geändert. Wie zu ihren Lebzeiten sprechen wir über unser Lieblingsthema: Sex. Aber wer glaubt mir schon, wenn ich behaupte, dass sie mich auf diesem Gebiet berät wie früher?
Die Nacht bricht an. Man könnte sagen, sie kommt mit dem Meer im Gepäck: Man hört es auf der anderen Seite der Düne gegen die Felsen klatschen.
Es ist Zeit, meine tote Frau, meine Wiederkehrerin zurückzubringen. Ich spüre, dass sie sich sträubt. Sie verlangsamt den Schritt. Wie eine Internatsschülerin am Sonntagabend, wenn sie ins Internat zurückmuss.
Wir kommen an einen Weg. Hier wohnen ihre Eltern, die ich mag.
Der Vater ist ein ehemaliger Soldat. Man hat es nicht leicht im Leben, wenn man zwischen 1945 und 1962 französischer Soldat war.
Weitere Kostenlose Bücher